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"Robert Kisch": Tatsachenroman "Möbelhaus"

Früher einmal war Robert Kisch Journalist. Als die Medienbranche in den Neunzigern noch florierte, war es ihm gelungen, auf der Karriereleiter weit nach oben zu klettern. Er galt als Starschreiber und schrieb für große Blätter über Literatur, Popmusik, deutsche Geschichte, Schicksale und Lebensdramen. Er reiste viel, stieg in teuren Hotels ab, traf Hollywood-Prominenz. In seinen besten Zeiten verdiente er monatlich 10.000 Euro. Robert Kisch liebte herausfordernde Reportagen und räumte Preise für seine journalistische Arbeit ab. Doch als das Hochglanzmagazin für das er als Autor arbeitete, eingestellt wurde, begann der Abstieg.

"Die Tatsache, dass Zeitungen sich einmal einfach so auflösen, Tausende Journalisten auf der Straße stehen, international renommierte Magazine keine Leser mehr finden, dass man in den USA ohne Häme davon spricht, dass Journalismus eine aussterbende Berufsgattung ist (siehe auch: Gerber, Kupferstecher etc.), wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Zumindest bei mir. Wie allerdings auch bei allen Freunden, Feinden, Kollegen oder sonstigen Analytikern, die noch in Lohn und Brot stehen. Es trifft bekanntlich immer die anderen. Und das sind immer die Schlechteren oder zumindest die, die es nicht anders verdient haben. Oder bei denen irgendwas nicht ganz stimmt."

Als ihn die Medienkrise um seinen Job brachte, war Robert Kisch Mitte vierzig und zu alt, um sich mit der Verantwortung für ein Kind und eine Familie auf prekäre und mobile Beschäftigungsverhältnisse einzulassen. Weil er im Journalismus keine Arbeit mehr fand, machte er eine radikale Wendung: er heuerte in einem Möbelhaus als Verkäufer an. Anders als zuerst erhofft, gelang es ihm jedoch nicht, in seinen eigentlichen Beruf zurückzukehren. Was als Provisorium gedacht war, ist nun seit über zwei Jahren Dauerzustand, was Stabilität hätte garantieren sollen, das hat letztlich seine Ehe zerstört. Nun hat Robert Kisch seine Geschichte aufgeschrieben: "Möbelhaus" heißt das Buch, das bei Droemer erschienen: Er nennt es einen Tatsachenroman.

Was sich wie eine Undercover-Recherche liest, das ist ein Roman über das eigene Leben. Als Journalist hätte er die Geschichte über seine neue Arbeitswelt niemals so erzählen können, davon ist Robert Kisch inzwischen überzeugt. Spritzig und frech ist das Buch geschrieben, aber die flotte und pointierte Sprache des interessierten Beobachters, der er früher war, ist nun das Medium, um Wut, Empörung und Kränkung eines Betroffenen loszuwerden. Dessen ungeachtet vermittelt Kisch mit kritisch-analytischem Blick die hilflose Einsicht in ein brutales Wirtschaftssystem, das er aus seinem innersten Kern heraus erlebt.
Der Autor hat sich ein Pseudonym in Anlehnung an den Prager Reporter Egon Erwin Kisch zugelegt, um das Möbelhaus, in dem er arbeitet, nicht identifizierbar zu machen. Denn seine Geschichte sei austauschbar, sie könnte auch an einem anderen Ort spielen.

Längst genügt nicht mehr die Leistung allein, was zählt, ist der Erfolg. Verkaufen auf Provision ist hart verdientes Geld: 1400 Euro brutto verdient Kisch im Monat fix, was zum Überleben fehlt, muss durch Überzeugungs- oder Überredungsarbeit am Kunden herangeschafft werden. Der Beitrag des Unternehmens besteht in verordneten Trainingsprogrammen, in denen die Verkäufer darüber belehrt werden, dass es allein an ihrem Willen läge, den Umsatz zu steigern.

Die Verantwortung der Umsatzsteigerung wird in Zeiten der Umsatzeinbrüche durch Onlinehandel und Preisvergleich im Internet in die Hände der Verkäufer gelegt, gleichzeitig werden Kunden mit sensationellen Preisschlagern zu Rabattschlachten in die Kaufhäuser gelockt. Das ergibt eine ungesunde zwischenmenschliche Dynamik zwischen Verkäufern und Verkäufern sowie Verkäufern und Kunden, so erlebt es Robert Kisch täglich. Wenn sich die Verkäufer in diesem Verdrängungswettbewerb dann gegenseitig bekriegen, und unangenehme menschliche Eigenschaften wie Neid, Missgunst, Habgier und Niedertracht an Nährboden gewinnen, dann sei das durchaus im Sinn der Geschäftsführung, denn Konkurrenz bringe die Verkäufer dazu, mehr zu leisten.
Unter den neuen Kollegen sind ein Hoteldirektor, eine gelernte Augenoptikerin, der Gitarrist einer Heavy Metal-Band, und nur wenige gelernte Möbelverkäufer. Mittelstandsbiographien nennt sie Kisch, "der Kaffeesatz gekündigter und nicht mehr vermittelbarer Randexistenzen", die sich durchkämpfen auf der Suche nach einem Ankerplatz. - Gestaltung: Gudrun Braunsperger

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