Gedanken für den Tag

29. Mai 2015, 06:56

Es gibt die Theorie, wonach jeden das Jenseits erwartet, das er erwartet, also sich vorgestellt hat. Wenn es eine Hölle für mich gibt, ist sie der Baumarkt. In einem Baumarkt fühle ich mich wie in einem Museum des Horrors, alles, was mir dort begegnet, macht mir Angst, weil ich es nicht verstehe. Und falls man jemanden fragt, bekommt man immer nur dieselbe Antwort: Verflanscht oder unverflanscht? Im Baumarkt gilt es, eine Geheimsprache zu entschlüsseln.

Dantes Reisebericht durch Vorhölle, Hölle, Fegefeuer und Paradies, bekannt als "Göttliche Komödie", ist das erste Werk der europäischen Literatur, das nicht in der Geheimsprache der Gebildeten, also Latein, geschrieben worden war. Dantes Text war für die italienische Sprache ebenso wichtig wie Luthers Bibelübersetzung später für die deutsche - sie wurde dadurch zur Literatursprache. Geschichten, die früher nur mündlich weitergegeben worden waren, wurden Literatur - das Erzählen wurde dadurch komplex, weil man es sich nicht mehr auswendig merken musste.

Dantes Text entspricht noch der mittelalterlichen Erinnerungsstruktur: Er ist gebaut wie ein Museum mit Abteilungen, Sälen und Sammlungen - ein Erinnerungsmuseum. Dante durchwandert dieses Museum, zunächst geführt vom antiken Dichter Vergil, später von seiner mythenumwobenen Lebensliebe Beatrice, wie der erste Reisejournalist. Wenn man sich an Dantes Hand durch dieses Museum führen lässt, hat man nicht nur einen eindrucksvollen Katalog an Sünden, Strafen und Reinigungsprozessen durchgearbeitet, sondern einen Katalog an geschichtlichen und mythologischen Figuren - die "Göttliche Komödie" ist eine Art Bildungslexikon des späten Mittelalters.

Und das unterscheidet sie von zum Beispiel "50 Shades Of Grey" - oder auch nicht: Vielleicht fasst 50 Shades Of Grey ja alles zusammen, was man über unsere Zeit wissen muss.

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Sendereihe

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Gestaltung

• Alexandra Mantler