Zwischenruf

von Prof. Ulrich Körtner (Wien)

All inclusive?

Von der Integration zur Inklusion: Das ist die Vision der UN-Menschenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Auch Diakonie und Caritas haben sich dem Ziel der Inklusion von Menschen mit Behinderungen verschrieben. Parallel- und Sonderwelten, z.B. in stationären Einrichtungen, sollen endgültig der Vergangenheit angehören.

Inklusion bedeutet, dass nicht die Menschen mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen in der Weise in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen, ohne dass diese ihre Normen- und Wertvorstellungen ändern müsste. Vielmehr soll die Gesellschaft so verändert werden, dass sie sich auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen einstellt. Es geht um umfassende Teilhabe, bei der sich nicht die Minderheit den Normen der Mehrheit unterwerfen muss, sondern jede Form von Diskriminierung und Barrieren überwunden werden soll.

Kritikpunkte

Das klingt gut, doch ist dreierlei zu bedenken. Erstens: Die Vision einer inklusiven Gesellschaft ist kein Selbstläufer. Sie lässt sich nicht, wie manche Politiker glauben, kostenneutral verwirklichen, sondern kostet Geld. Die Forderung nach wirksamen Einsparungen in den öffentlichen Haushalten führt dazu, dass auch die Idee der Inklusion in den Sog von Kostendämpfungsdebatten gerät.

Der zweite Punkt: Es besteht die Gefahr, dass auf dem Weg zur Inklusion ein Teil der Betroffenen ausgeschlossen bleibt. "Denn es geht", wie der Diakonie-Experte Günter Wienberg schreibt, "eben nicht nur um die sympathische junge Frau mit einem Down-Syndrom oder den netten Studenten, der nach einem Sportunfall querschnittsgelähmt ist. Sondern es geht auch um Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen, um chronisch Suchtkranke und psychisch kranke Menschen, die auffällig sind und stören."

Schließlich ist noch ein dritter Gesichtspunkt zu bedenken: Grundsätzlich besteht die Gefahr, den Begriff der Inklusion ideologisch aufzuladen und zu ignorieren, dass niemand im vollen Umfang in sämtliche Teilsysteme der Gesellschaft - Wirtschaft, Bildung, Kultur etc. - inkludiert ist. So wünschenswert eine offene und partizipative Gesellschaft auch erscheinen mag, so wenig dürfen doch Menschen zu einer bestimmten Form der Teilhabe gezwungen werden. Das Recht auf Inklusion darf nicht zum Inklusionszwang mutieren.

Auch in Zukunft wird es Menschen geben, die sich freiwillig dafür entscheiden oder darauf angewiesen sind, in einer Nische oder einem besonderen Lebensraum zu wohnen, zu lernen und zu arbeiten, gefördert und gepflegt zu werden. Manche Menschen wünschen oder benötigen eher Schutz und Fürsorge als vielfältige Teilhabemöglichkeiten.

Beispiel Demenz

Weniger ist manchmal ist mehr. Das gilt auch für die Idee der Inklusion. Grundsätzlich sind z.B. alle Initiativen zu begrüßen, die Menschen mit Demenz ein Leben in der Mitte der Gesellschaft ermöglichen. Neben individuellen Unterstützungsangeboten für Betroffene - von der Demenzberatung über stundenweise Entlastung pflegender Angehöriger über Kurzzeitpflege und Urlaubsbetten - sind auch Strategien für demenzfreundliche Kommunen zu erwähnen. Doch für manche Betroffene können stationäre Angebote, die auf ihre besonderen Bedürfnisse zugeschnitten sind, nach wie vor bessere Lebenschancen bieten. Doch sind längst nicht alle Einrichtungen der Pflege oder der Altenhilfe auf die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ausgelegt.

Dass es für Österreich noch immer keine ausgearbeitete Demenzstrategie gibt und dass sich die Bundesregierung mit der Umsetzung ihrer eigenen Ankündigungen viel Zeit lässt, sei nur am Rande vermerkt.

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