Gedanken für den Tag

21. November 2015, 06:56

Mein Vater hat auf die Frage, wie es ihm ginge in seinen letzten Lebensjahren gerne geantwortet: "Ich will, dass es mir gut geht..Das Glas ist halbvoll und nicht halbleer." Und auf die anschließende Frage, wie er das mache, sagte er - meist zur Irritation der jeweiligen vis a vis: "Sterben lernen".

Und er hat das wirklich gut gemacht. Er hat nämlich damit nicht nur sich selbst immer wieder auf die Endlichkeit des Lebens aufmerksam gemacht, sondern auch uns Kinder sehr gut darauf vorbereitet, dass der Tod bekanntlich zum Leben dazu gehört. Und als der Vater dann auch wirklich gegangen ist, da war uns allen klar, dass er ja keineswegs weg sein wird, sondern in uns weiter auf der Erde lebt.

Denn was ist das Paradies, wenn es das Paradies wirklich geben sollte, was wir in meiner Familie alle hoffen? Keine Chronik der Ereignisse ad infinitum. Es ist eine Auflösung der Zeit in jenen Momentan, in denen wir uns eben nicht von Verletzungen der Vergangenheit oder Ängsten vor der Zukunft bestimmen lassen, sondern ganz im jetzt sind.

Also können wir heute schon Momente erleben, in denen wir uns wie im Paradies fühlen. Wenn wir Musik hören, oder wenn wir verliebt sind, wenn ein Kind zur Welt kommt oder wenn unser Vater bei uns ist, weil er sterben gelernt hat - schon zu Lebzeiten, denn -

Frei nach Martin Buber: Was das Leben nicht vollbrachte, schafft auch das Sterben nicht.

Service

Buch, Paul Mendes-Flohr, Peter Schäfer und Bernd Witte (Hg.), "Martin Buber Werkausgabe", 21 Bde., Gütersloher Verlagshaus

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler