Zwischenruf

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien)

An den Zäunen prangt in großen Lettern, schön gemalt, in mehreren Sprachen, von Arabisch über Farsi bis Paschtu, die Aufschrift: "Achtung! Sie betreten ein Land der Europäischen Wertegemeinschaft. Ihre Wertsachen und Werte sind vor dem Grenzübertritt abzugeben."

So oder ähnlich könnte es geschehen, wenn das dänische Beispiel Schule macht. Vor wenigen Tagen hat nämlich die rechtskonservative Regierung Dänemarks ein Gesetzesvorhaben in die Wege geleitet, nach dem Geld und Wertsachen von Flüchtlingen beschlagnahmt werden könnten, um damit den Aufenthalt der Flüchtlinge zu finanzieren. Was die rechten Populisten da ausbrüten, klingt wie eine Art staatlich verordnetes Raubrittertum zur Abschreckung von Flüchtlingen. Es ist zu befürchten, dass im kommenden Jahr ein Ideenwettbewerb zwischen den Regierungen der Länder der Europäischen Union stattfindet, wer denn die grauslicheren Methoden erfindet, um Flüchtlinge vom Grenzübertritt abzuhalten.

Eine schöne Wertegemeinschaft. Das Beschwören der Werte hat ja in den letzten Wochen Hochkonjunktur. Sie werden vor allem dann aus dem Hut gezogen, wenn eine sogenannte Flüchtlingswelle über unseren Kontinent schwappt oder nach einem spektakulären Attentat auf Zivilisten in Europa. Dann hören wir von Politikerinnen und Politikern mit dem entsprechenden Pathos, wie wichtig unsere Werte sind, da werden christliche Werte bemüht oder Werte des christlichen Abendlandes und Werteschulungen werden gefordert. Bei näherer Betrachtung handelt es sich allerdings mehr um einen Kampfbegriff gegen andere Kulturen und Religionen als um ein Bekenntnis zu wahrhaftigen Werten. Und dort, wo diese Werte beim Namen genannt werden, entbehren sie nicht einer gewissen Doppelmoral.

Da heißt es dann, Terroristen hätten keine Achtung vor dem Leben. Nun, der Schutz des Lebens gilt offensichtlich für den Großteil der eigenen Bevölkerung, wo aber eigene Interessen gefährdet sind, spielen Menschenleben anscheinend keine Rolle mehr. Da werden bei militärischen Angriffen zivile Tote ohne weiteres in Kauf genommen. Und Attentate auf Zivilisten im Nahen Osten werden schulterzuckend zur Kenntnis genommen, auch wenn sie viel mehr Tote fordern, als die Anschläge von Paris.

Demokratie ist gut, solange sie uns nützt. Wenn aber in anderen Teilen der Welt demokratisch gewählt wird, hat die EU kein Problem, so eine Wahl zu ignorieren und putschende Diktatoren zu unterstützen, wie das zuletzt in Ägypten der Fall war. Und im eigenen Haus Europa hat man sich anscheinend damit abgefunden, dass es Regierungschefs gibt, die lieber autoritär als demokratisch regieren.

Hinter der Wertedebatte steht leider etwas ganz anderes als die Überzeugung, dass es für bestimmte Werte gut ist einzustehen und sie hochzuhalten. Nämlich ein Überlegenheitsgefühl, das lautet: "Deine Werte sind nichts wert. Wenn du zu uns kommst, dann kannst du deine Werte wegwerfen, am Besten auch gleich deine Religion und Kultur."

Für zahlreiche Flüchtlinge ist Österreich ein attraktives Zielland. Hier herrschen trotz mancher Missstände und Ungerechtigkeiten Frieden, Sicherheit und Wohlstand, noch für einen relativ großen Teil der Bevölkerung. Das ist aber weder ein Grund, sich selbstgerecht zurückzulehnen, noch sich über andere zu erheben.

Vielmehr wünsche ich mir für das kommende Jahr 2016, dass jene Werte, deren Einhaltung nach Anschlägen, wie jenen von Paris im Betroffenheitsgestus eingefordert wird, mit Leben erfüllt und ernst genommen werden. Wenn man schon von christlichen Werten spricht, dann ist so ein Wert sicher nicht die Abgrenzung, Abwehr und die Geringschätzung anderer. Ich bekenne mich als evangelischer Christ zum Wert einer pluralistischen, multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft.

In diesen Tagen feiert die westliche Christenheit das Weihnachtsfest. Die Botschaft, die von der Krippe ausgeht, lautet nicht: "Mir san mir", sondern: "Wir sind alle geliebte Kinder Gottes", eines Gottes, der sich ganz besonders mit den Schwachen und Armen, den Flüchtenden und Obdachlosen solidarisiert. Sich für diese Botschaft einzusetzen, ist wertvoll. So wäre es auch wertvoller und vernünftiger im Sinne einer Wertegemeinschaft, legale Zugänge für Flüchtlinge nach Europa zu schaffen, anstatt modernes Raubrittertum zu legalisieren.

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