Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

Brot wirft man nicht weg

Als ich ein Kind war hat es geheißen: Brot ist kostbar. Brot wirft man nicht weg. Einen neuen Brotlaib hat die Oma an die Brust gedrückt und über die große Rundung mit dem langen Sägemesser ein Kreuz gezeichnet. Erst dann hat sie das Brot angeschnitten.

In der Volksschule hat die Frau Lehrerin täglich am Ende der letzten Pause im Mistkübel in der Klasse nachgeschaut, ob eh kein Kind sein Jausenbrot dorthin entsorgt hat. Denn Brot wirft man nicht weg.

Wir Kinder haben schnell gelernt, dass der Mistkübel kein sicherer Ort für die ungeliebte Jause war. In manchen Bankfächern hat sich im Lauf einer Woche dann allerhand wenig Appetitliches hinter dem Kasten mit den Malfarben und dem Wörterbuch angesammelt: Ein angebissener Apfel, von dem am Ende der Pause noch viel zu viel übrig war, um ihn noch schnell hinunterzuschlucken. In der nächsten Pause war er dann schon braun, für uns Kinder also ungenießbar. Das Käse- oder Wurstbrot, das nicht schmeckte. Nach dem ersten Bissen schnell wieder eingewickelt ins Butterbrotpapier und ganz nach hinten geschoben.

Ab und zu hat die Frau Lehrerin kommandiert: Bankfächer ausräumen. Alles auf die Tische legen. Dann kamen die versteckten Essensreste zu Tage. Ein riesiges Donnerwetter folgte. Denn: Brot wirft man nicht weg. Das war Regel Nummer eins.

Regel Nummer zwei hieß bei mir zu Hause: Brot darf nie frisch angeschnitten werden. Noch ofenwarm brachte die Mutter das Brot mit knuspriger Rinde vom Bäcker ums Eck. Es duftete köstlich. Jetzt das frische Scherzl mit Butter und Salz essen. Herrlich. Aber nein, das Brot muss auskühlen. Abliegen. Morgen wird es dann angeschnitten. So ist es bekömmlicher. So gehen sich auch mehr Scheiben aus einem Laib aus. Scheiben, die mit dem Sägemesser abgeschnitten werden. Wer nicht Brot schneiden kann, so dass die Scheiben dünn und glatt und vor allem rundherum gleichmäßig dick sind, der ist nicht heiratsfähig, hat meine Oma gesagt.

Hart gewordenes Brot bekamen die Pferde, die das Brot von der Ankerbrotfabrik in die Filialen brachten. Oder die Oma verwendet es, um Senfgurken zu machen. Die Gurkenstücke schichtete sie in ein großes Glas, kochte Dille, Pfefferkörner, Zwiebel, Senfkörner, Salz mit Wasser auf und goss den Sud über die Gurken. Oben drauf legte die Oma das harte Brot und verschloss das Glas mit einem Leinentuch. Das Ganze blieb in einer ruhigen Ecke mehrere Wochen unbeachtet stehen. Wenn die Oma es hervorholte, schwammen die Gurken in einer milchweißen Brühe. Naturgesäuert von dem Brot, das sich völlig aufgelöst hatte.

Brot wirft man nicht weg. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem viele, sehr viele Menschen das Gebot Jesu kennen und auch beten: Unser tägliches Brot gib uns heute. Erst um etwas bitten, um es dann wegzuwerfen ist verrückt. Natürlich umfasst diese Bitte um das tägliche Brot mehr als Brot und Gebäck. Nicht nur Brot wirft man nicht weg. Essen wirft man nicht weg. Lebensmittel wirft man nicht weg.

Lebensmittel retten heißt eine junge Initiative. Statt Essen wegzuwerfen wird es geteilt. Mit den Nachbarinnen und Nachbarn. Das kann ganz lustig sein vor einer Reise. Die Butterdose mit der offenen Butter, die restliche Wurst, den Käse zur Nachbarin bringen. Die Erdäpfel und das Obst, das in der Zeit des Urlaubs schrumpeln würde. Und auch das übrige Brot. Ein kleines Plauscherl an der Türe geht sich dann auch noch aus. Und wenn die Nachbarin auf Urlaub fährt, macht sie es genauso.

Man kann auch mit völlig Unbekannten das Essen teilen. An allen möglichen Orten gibt es inzwischen öffentliche Kühlschränke. Man legt hinein. Man nimmt heraus. So einfach ist das.

Demnächst beginnt in den evangelischen und katholischen Kirchen gemeinsam die Aktion "Sieben Wochen ohne." Jedem und jeder ist es selbst überlassen, für die drei Punkte hinter dieser Überschrift etwas einzusetzen: Sieben Wochen ohne Alkohol. Sieben Wochen ohne Auto oder Zigaretten. Oder eben: Sieben Wochen ohne Essen wegzuwerfen. Das wäre eine Übung, die über die Passionszeit, über die Zeit vor Ostern hinaus wirksam werden kann.

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