Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant, Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche". "Die Wirklichkeit hat unzählige Formen" - Zum 100. Todestag von Henry James. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Im Garten des Lebens"

"Die Kunst befasst sich mit dem, was wir sehen, sie muss zuerst diese Ingredienz mit vollen Händen einbringen; sie pflückt ihr Material, anders ausgedrückt, im Garten des Lebens - anderswo gewachsenes Material ist schal und ungenießbar." Der amerikanische Schriftsteller Henry James, der vor 100 Jahren gestorben ist, betonte stets, dass die Kunst aus der Erfahrung schöpfen müsse. Er selbst gewann seine Erfahrungen bei Dinnereinladungen und Veranstaltungen der Upperclass in Florenz, Venedig, Rom, Paris, London. "Um gesellig zu sein, braucht man eine Menge Mut", meinte er. Aber er wusste, um Stoff zu bekommen, musste er gesellig sein.

Danach aber sei die Kunst vor allem Arbeit. "Es ist ganz und gar eine sitzende Tätigkeit", schrieb Henry James, "die eine solche Menge an Kalkulationen erfordert, dass sie das höchste Gehalt eines Oberbuchhalters verdiente."

So gut verdiente er zwar mit einigen wenigen Werken, andere wieder - vor allem sein kunstvolles Spätwerk - kamen gar nicht so gut an, wie sie nun von der Nachwelt geschätzt werden. Aber er schrieb immer weniger, um dem Publikum zu gefallen, und immer mehr, um die richtige Form zu finden. "Ich kann mir überhaupt nichts vorstellen (wenigstens in Sachen Prosadichtung), was den Menschen gefallen oder nicht gefallen sollte'", behauptete er in seinem berühmten Essay "Die Kunst des Romans", der sich in mancher Hinsicht heute noch erstaunlich modern liest.

Viele Menschen sprechen vom Roman "wie von einer künstlichen, einer Ersatzform, einem Produkt der Erfindungsgabe, deren Sache es ist, die Dinge, die uns umgeben, zu ändern und zu arrangieren, sie in konventionelle, traditionelle Matrizen zu übertragen", meinte Henry James. "Dies ist jedoch eine Ansicht der Dinge, die uns nur sehr wenig weiterbringt, die die Kunst zu einer ewigen Wiederholung einiger weniger bekannter clichés verdammt, die die Entwicklung stagnieren lässt und geradenwegs in eine Sackgasse führt. Genau den Ton und das Eigentümliche einzufangen, den seltsamen unregelmäßigen Rhythmus des Lebens, das ist das Wagnis, dessen kühner Elan die Prosadichtung lebendig erhält."

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Titel: GFT 160227 Gedanken für den Tag / Brigitte Schwens-Harrant
Länge: 03:49 min

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