Gedanken für den Tag

von Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums Wien. "Unterwegs zur Freiheit" - Gedanken zum jüdischen Pessach-Fest. Gestaltung: Alexandra Mantler

Im großen Saale seines Hauses saß einst Rabbi Abraham, und mit seinen Gästen beging er die Abendfeier des Paschafestes. Im Saale war alles mehr als gewöhnlich blank; über den Tisch zog sich die buntgestickte Seidendecke, deren Goldfransen bis auf die Erde hingen; die Männer saßen in ihren Schwarzmänteln und schwarzen Platthüten und weißen Halsbergen; die Frauen, in ihren glitzernden Kleidern von lombardischen Stoffen, trugen um Haupt und Hals ihr Gold- und Perlengeschmeide; und die silberne Shabbatlampe goss ihr festlichstes Licht über die andächtig vergnügten Gesichter der Alten und Jungen. Auf den purpurnen Sammetkissen eines erhabenen Sessels und angelehnt, saß Rabbi Abraham und las und sang die Agade, und der bunte Chor stimmte ein. Die schöne Sara, die an seiner Seite saß, trug als Wirtin nichts von ihrem Geschmeide, nur weißes Linnen umschloss ihren schlanken Leib und ihr frommes Antlitz.

So saß heute die schöne Sara und sah beständig nach den Augen ihres Mannes; dann und wann schaute sie auch nach der vor ihr liegenden Agade, dem hübschen, in Gold und Samt gebundenen Pergamentbuche, einem alten Erbstück mit verjährten Weinflecken aus den Zeiten ihres Großvaters, und worin so viele keck und bunt gemalten Bilder, die sie schon als kleines Mädchen, am Pascha-Abend so gerne betrachtete, und die allerlei biblische Geschichten darstellten.

Der zweite Becher war schon eingeschenkt, und der Rabbi, indem er eins der ungesäuerten Osterbröte ergriff und heiter grüßend emporhielt, las er folgende Worte aus der Agade: "Siehe! Das ist die Kost, die unsere Väter in Ägypten genossen! Jeglicher, den es hungert, er komme und genieße! Jeglicher, der da traurig, er komme und teile unsre Paschafreude! Gegenwärtigen Jahres feiern wir hier das Fest, aber zum kommenden Jahre im Lande Israels! Gegenwärtigen Jahres feiern wir es noch als Knechte, aber zum kommenden Jahre als Söhne der Freiheit!" (Heinrich Heine)

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Sendereihe

Gestaltung

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Urheber/Urheberin: Trad.
Titel: Dajenu
Ausführender/Ausführende: Naomi und Arik Brauer
Länge: 02:00 min
Label: Jüdisches Museum Wien

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