Zwischenruf

von Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

Käthe wohnt zu Hause. Ihr Zuhause ist bei Lisa und Franz. Lisa hat die Arbeit aufgegeben, seit Käthe immer vergesslicher wird. Seit immer mehr Tafeln ihres Gedächtnisses gelöscht werden, wie sie selbst sagt - in den Momenten, wo sie so etwas sagen kann. Das sind die schwierigen Momente. Lisa würde gerne wieder arbeiten, doch ihre Mutter braucht sie, alleine findet sie sich nicht mehr zurecht. Gäbe es ein Tageszentrum in der Nähe, könnte Lisa arbeiten und Käthe zu Hause wohnen bleiben. So aber . wer weiß, wie lang das noch geht. Davor haben sie Angst. Doch: "Die Hoffnung stirbt zuletzt!" sagt Lisa, und Käthe lacht.

Anna ist ein kluges Mädchen. Allerdings ist sie nicht die Schnellste. Sie hat immer schon etwas länger gebraucht. Nicht überall. Im Rechnen ist sie schnell. Das Lesen und Schreiben macht Mühe. Teilleistungsschwäche nennt man das, sagt die Schulpsychologin. Eine Schule, die individuelle Begabungen fördert, die Stärken stärkt und nicht an den Schwächen herumdoktert, braucht Anna, sagt die Psychologin. Gibt es aber nicht, zumindest nicht in erreichbarer Nähe. Die Privatschule, die sich gerade mit ihren Konzepten des offenen Lernens und der Inklusion, die sich sogar in der Schularchitektur widerspiegelt, einen Namen macht, die können wir uns nicht leisten, sagt Annas Mama. Doch wir suchen weiter. Denn Aufgeben tut man einen Brief, sagt die Mama, aber nicht die Hoffnung.

Norbert hätte sich vor einem Jahr noch nicht vorstellen können, dass er beim Frühstückstisch Arabisch lernt. Doch in den bewegten Tagen der "Willkommenskultur", die jetzt an allem schuld sein soll, da konnte er nicht anders. Norbert hat Farid bei sich zu Hause aufgenommen. Farid lernt Deutsch, Norbert Arabisch - mit weniger Erfolg. Farid ist einfach jünger, da lernt es sich leichter, denkt sich Norbert. Norbert lernt allerdings viel über das Asylsystem in Österreich. Wie lang das dauern kann bis zu einem Erstgespräch. Wie ausgeliefert man sich vorkommen kann, wenn einem nicht geglaubt wird. Aber sie glauben dran, dass Farid Asyl bekommen wird, auch in den durchwachten Nächten der Angst. Norbert weiß jetzt, auf Arabisch heißt Hoffnung "Amal".

Und dann ist da noch Sepp. Sepp schreibt Bewerbungen. Mit 55 ein schwieriges Unterfangen. Die Debatten über ein späteres Pensionsantrittsalter kosten ihn nur mehr ein müdes Lächeln. Er bewirbt sich weiter. Sepp fühlt sich nicht alt. Er kann etwas leisten. Er hat auch etwas gelernt. Meistens bekommt er keine Antwort. Eine ehrliche Antwort bekommt er nie, das wäre Altersdiskriminierung. Diese Woche war Sepp aufgeregt. Er ist zu einem Gespräch eingeladen. Die Hoffnung lebt.

Heute ist Pfingsten. "Da sind die Geschenke am geringsten", hat Bert Brecht gemeint. Doch die Hoffnung ist am größten, meine ich, heute an diesem Sonntag. Das Pfingstfest ist die Erinnerung daran, dass aus Angst und Mutlosigkeit Hoffnung und Zukunft werden können. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu waren versammelt, mutlos und verzweifelt nach dem Tot ihres Meisters, doch der Funken der Hoffnung war nie ganz erloschen, hatten sie ihn doch gesehen, nach der Auferstehung war er ihnen und vielen anderen erschienen. Nach vierzig Tagen war es endgültig. Sie mussten allein zurechtkommen. All ihre Pläne und ihre Zuversicht waren in Frage gestellt. Doch ihre Hoffnungen wurden erhört. Aus den Funken der Hoffnung schlugen die Flammen des Heiligen Geistes, so wird berichtet. Ihre Hoffnungen verwandelten sich in neuen Mut und neue Perspektiven, sie nahmen die Botschaft wieder auf und blieben nicht in ihren Häusern, hinter Mauern verborgen und in ihren Ängsten gefangen, sondern sie trugen die Frohe Botschaft der Gerechtigkeit, die allen gilt, hinaus in die Welt, sodass wir sie bis heute hören können.

Nelson Mandela, der Rebell und Versöhner, erst Verfolgter und dann Präsident Südafrikas, sagte einmal: Deine Entscheidungen sollen deine Hoffnungen widerspiegeln, nicht deine Ängste. Ängste halten klein, lassen die Enge spüren und hindern uns am Handeln. Hoffnungen aber führen zum Licht hinter dem dunklen Horizont.

Die Ängste der Menschen soll man ernst nehmen, ist ein Mantra der letzten Monate. Und es stimmt schon, denn Menschen wollen und sollen ernst genommen werden, mit allem, was zu ihnen gehört. Doch genauso wie die Ängste zum Menschen gehören, so gehören auch die Hoffnungen zum Menschen. Hoffnungen aber sind produktiver. Politiker haben gelernt, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Wenn sie jetzt auch noch lernten, ihre Hoffnungen ernst zu nehmen und zur Grundlage ihrer Entscheidungen zu machen - was wäre das für ein Wunder! Aber es ist ja Pfingsten.

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