Zwischenruf

von Bischof Michael Bünker (Wien)

Europa wird auseinanderbrechen, daran besteht kein Zweifel. Nein, ich spreche jetzt nicht vom Brexit mit dem überraschenden Ausgang und der möglichen ansteckenden Wirkung mit Frexit, Nexit, Öxit und so weiter. Der Brexit kann auch dazu führen, dass Europa sich auf seine Grundlagen besinnt und seine Entwicklungsmöglichkeiten mutig anpackt. Nein, das wird nicht zum Auseinanderbrechen Europas führen. Der Grund wird auch nicht die zu erwartende Tatsache sein, dass Island Fußballeuropameister wird. Nach dem dramatischen Finale wird vielleicht Deutschland überlegen, aus der UEFA auszutreten, aber auch das wird nicht zum Zerbrechen Europas führen. Aber Scherz beiseite: Das Auseinanderbrechen Europas hat handfeste geologische Ursachen. Ausgerechnet an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich wird sich der Kontinent entlang des Rheingrabens teilen.

Die Stimmen unserer evangelischen Schwesterkirchen in England und natürlich in Schottland wie auch die anglikanische Church of England sprechen eine andere Sprache als die Populisten von UKIP und haben sich deutlich gegen einen Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen. Die Baptisten, die Church of Scotland, die United Reformed Church und die Methodisten haben ein eigenes Joint Public Issues Team gegründet zur Begleitung der Diskussion vor der Abstimmung am 24.6. Jetzt, nach der Entscheidung, bekräftigen sie ihren Willen, über die nationalen Grenzen hinweg weiter eng zusammenzuarbeiten. Denn - so betonen die Kirchen - die globalen Herausforderungen, vor denen Europa heute steht - Klimawandel, Migration, Wirtschaftskrise - werden sich nicht auf nationalstaatlicher Ebene lösen lassen. Es braucht das Zusammenwirken. Mit den evangelischen Kirchen in Österreich sind und bleiben die Kirchen des Vereinigten Königreichs wie mit so gut wie allen evangelischen Kirchen in Europa in der GEKE, der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa verbunden. Rachel Lampard von den Methodisten erinnert an die Grundwerte, die von den Kirchen in Europa eingebracht werden und wofür die Kirchen stehen. Sie zitiert in diesem Zusammenhang einen berühmten Ausspruch von Desmond Tutu, der einmal gesagt hat: "We are made for goodness. We are made for love. We are made for friendliness. We are made for togetherness." Damit hat der südafrikanische Erzbischof an christliche Grundwerte erinnert. An die Güte, die Liebe, die Freundlichkeit und das Miteinander. Grundwerte, die in Europa heute dringend und morgen noch dringender gebraucht werden.

Diese Überzeugung teilen alle Kirchen Europas, die römisch-katholische ebenso wie die orthodoxen und natürlich auch die evangelischen. Unverdrossen knüpfen die Kirchen weiter die europäischen Verbindungen und setzen sich für ein tieferes Zusammenwachsen ein. Das Jahr 2017 mit den Feiern zu 500 Jahre Reformation gibt den evangelischen Kirchen dazu vielfältige Gelegenheiten.

Was ist der Beitrag des Protestantismus zu Europa? Ich greife nur ein Thema heraus und erwähne dazu einen Gedanken des Historikers Rudolf von Thadden. Er erinnert an die Zwei-Regimente Lehre Luthers und der Reformation. Der Protestantismus - so meint er - ist dadurch gleich weit entfernt von einem Klerikalismus, der die eigene Würde der säkularen Welt missachtet, und einem Säkularismus, der die Begrenztheit der menschlichen Vernunft vergisst. So schreibt er dem Protestantismus eine verbindende Funktion zwischen Religion und Aufklärung, eine Brückenfunktion zwischen Glaube und Vernunft zu. Der Protestantismus hängt nicht nostalgisch dem Traum von einem "christlichen Abendland" nach. Er ist auch skeptisch gegenüber einem durch Nationalstaatlichkeit geprägten Idealbild einer homogenen Gesellschaft (die es übrigens so nie gegeben hat). Die kulturelle Dimension, die Europa - auch über die EU hinaus - ausmacht, sprengt die Enge nationaler Räume und markiert dennoch einen definierbaren Raum in der zunehmend globalisierten Welt. In seiner Eigenart und in seiner Offenheit und Vielfalt hat Europa Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass auch der christliche Glaube eine Ermutigung ist, sich dafür einzusetzen. Das geologische Auseinanderbrechen, das Europa droht, gibt uns Zeit. Erst in rund 50 Millionen Jahren wird es so weit sein. Dann - erst dann - liegt Heidelberg am Meer. Bis dahin gibt es miteinander - von England bis Island, von Finnland bis Portugal - viel zu tun.

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