Bodo Hell

SIGRID LANDL

Gedanken für den Tag

Bodo Hell über Riten im Advent

"Riten im Advent". Der Schriftsteller Bodo Hell bedient sich unterschiedlicher zeitgemäßer Formen, deren Wurzeln er manchmal in kirchlichen Sprechritualen entdeckt und immer verpackt er darin eine maximale Wissensfülle aus allen möglichen Kultur- und auch Naturbereichen. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Vorab einige Zuschreibungen: Helena: Wirtstochter niederer Herkunft aus Drepanon, Helena: heilige Hure aus Trier (dort sei ihr Lebensmittelpunkt gewesen), Flavia Julia Helena Augusta (vom Sohn Kaiser Konstantin verliehener Ehrentitel): betagte Pilgerreisende zu den heiligen Stätten, Verehrerin der Fußspuren unseres Erlösers, eifrige Reliquiensammlerin (Lanze: Wien St. Stephan, Kreuzteile, Dornen, 3 Nägel, INRI-Inschrift, Apostelfinger des Thomas, sterbliche Überreste der hl. 3 Könige, später weiterverschenkt), Helena: Nutznießerin des ausbeuterischen constantinischen Fiskalismus (mit enormer Steuerlast), Helena: durch Christus vom Mist zur Macht geführt (wie es der Kirchenvater und Zeitgenosse Ambrosius von Mailand prägnant ausdrückt), und also springen wir gleich auf diesen heutigen Tagespatron über.

Da sitze ich nun, Ambros, in einem Ganzkörper-Porträt der vier lateinischen Kirchenväter auf dieser Wiener Tafel des Meisters von Großgmain (wie mein Porträtist aus der Zeit Rueland Frueaufs mit Notnamen genannt wird), da sitze ich in eigener Lesenische meinem schlauen Schüler (und Täufling) Augustin von Hippo gegenüber, hinter mir der schreibende große Gregor (mein späterer kirchenmusikalischer Widersacher), mit Gesichtszügen mir zum Verwechseln ähnlich, und lasse mich von den Besucherinnen in den abgedunkelten Räumen des Oberen Belvedere beiläufig mustern.

Altmännerporträt, Tiara, verbrämter Festmantel, mit niedergeschlagenen Augen, keine Aureole, aber Goldhintergrund, auf rotem Polster in leicht verdrehter Ecke, maßwerkvertäfelte Studierstube, oben und unten ein paar geschlossene Bücher im Repositorium, vor mir und zum Beschauer quasi hergedreht, ein Buch aufgeschlagen, links halte ich die Seiten, rechts das Leseband, das weiter hinten eingelegt ist, und sinniere darüber nach, warum auch auf dieser Doppelseite mit Initialen und Strichen statt Buchstaben oben das Datum des MalAkts 1498 zu lesen steht und wer diese Kraxel wohl nachträglich angebracht hat.

Zu meinen Verdiensten und zur Fortentwicklung der Glaubenskirche will ich lieber schweigen. Eines aber fühle ich mich doch veranlasst anzumerken: Wer weiß, ob ich den ambrosianischen Lobgesang (Te Deum laudamus) in die Welt gesetzt und propagiert hätte, wäre mir damals bewusst gewesen, dass dieser Hymnus dereinst zur Segnung von Waffen missbraucht würde, und zum Säbelzücken der Korporierten im Hochamt erklänge.

Als kleiner Lichtblick erscheint mir als Bienenpatron die Nachricht aus dem fernen 21. Jahrhundert: Da soll sich nämlich mein Namens- und Priesterkollege (Ambros Aichhorn) um die kleinen Wesen der Erde kümmern, etwa um die Hummeln, und hier speziell wieder um die gefährdeten Eisenhuthummeln in Goldegg, am Salzburger Untersberg und anderswo.

Service

Buch, Bodo Hell, "Ritus und Rita", Droschl Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Urheber/Urheberin: Anton Bruhin/Peter Weber
Titel: Duo
Ausführender/Ausführende: Anton Bruhin/Peter Weber
Länge: 02:00 min
Label: Urs Engeler Editor

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