Ein Vierteljahrhundert Tocotronic

19. Februar 2018, 17:30

Tocotronic gilt für viele Kritiker als bedeutendste deutsche Band. Freunde und Feinde der Hamburger Gruppe nehmen dabei meist das Schlagwort "Diskurspop" in den Mund - mal positiv, mal negativ gewendet. Mit dem vorletzten, unbetitelten "roten" Album hat man den Grad der intellektuellen Reflexion auf die Spitze getrieben.

Zum 25. Geburtstag wollten Tocotronic den Elfenbeinturm der Abstraktion verlassen. Das Album "Die Unendlichkeit" ist nichts weniger als eine klingende Autobiografie des Bandleaders Dirk von Lowtzow. Wir wandern mit ihm von Kindheitseindrücken im Schwarzwald über jugendliche Abenteuer in Hamburg bis zu ersten Verlusterfahrungen.

Begonnen hat Tocotronic mit rauen Klängen - und auch das Talent zu griffigen Slogans war von Beginn an da. "Die Zeit" hat die Entwicklung von Tocotronic in drei Phasen eingeteilt: Sturm und Drang, die klassische und die romantische Phase. Mit "Die Unendlichkeit" sei man nun in der Post-Romantik angekommen.

Tocotronic haben ihre Texte rhetorisch immer weiter verfeinert, bis zum titellosen "roten" Album von 2015, das gewissermaßen als Endpunkt dieser Entwicklung gelten kann. Dort gibt es allerdings einen Song, der schon ankündigt, dass es anders weitergehen wird. Mit dem Doppelgänger-Lied "Date mit Dirk", einem hidden Track dieses vorletzten Albums, ist die Selbstbespiegelung von "Die Unendlichkeit" schon angedeutet.

2018 greifen Tocotronic auf bewährte musikalische Muster zurück, wenn es darum geht, ganz bestimmte Lebensstationen zu beschreiben. Konkret geschildert, aber auch allgemein genug gehalten, um Raum für Identifikation zu schaffen.

Ein zentraler Song des Albums heißt "Unwiederbringlich". In Minimal-Music-Manier arrangiert hat den Song der Wiener Paul Gallister - man kennt ihn u.a. als Filmmusikkomponisten und als Produzent von Wanda. "Unwiederbringlich" handelt vom Tod eines Freundes - und wie man davon in Vor-Handy-Zeiten erfährt.

Toctronic haben die Gabe, Slogans zu kreieren, die haften bleiben. Man kann sie drehen und wenden wie einen scharf geschliffenen Diamanten, der immer neue Facetten zeigt, je nachdem, in welches Licht man ihn hält.

Hieß es bei Tocotronic Mitte der1990er Jahre: "Alles, was ich will ist nichts mit euch zu tun haben", heißt es jetzt in der Rückschau: "Alles, was ich immer wollte, war alles".
Dirk von Lowtzow relativiert in der Schlussnummer der Platte die autobiografische Nabelschau. Dort heißt es:

Ich habe dich vielleicht belogen
Und zwar immer dann
wenn wir uns am nächsten waren.

Sendereihe

• Spielräume

Gestaltung

• Rainer Elstner