Medizin und Gesundheit

Pillen, die die Lust killen

Man schätzt, dass bis zu 70 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens zumindest einmal unter einem sexuellen Problem leiden. In vielen Fällen sind solche sexuellen Dysfunktionen Folge psychischer und körperlicher Erkrankungen. So dürfte bei mehr als der Hälfte aller Diabetiker und bei fast zwei Drittel aller Personen mit stärkerem Übergewicht auch eine Sexualfunktionsstörung vorliegen. Auch Bluthochdruck und Atherosklerose, bzw. die Nebenwirkungen der dagegen verschriebenen Medikamente führen in vielen Fällen zu Störungen der Sexualfunktion.
Mitunter können aber auch sexuelle Dysfunktionen wie z.B. Potenzprobleme ein erstes Warnzeichen für das Vorliegen einer Gefäßerkrankung ein.

Das Schweigen im Walde

Neben den bereits genannten können zahlreiche weitere Medikamente die Libido und die Potenz beeinflussen oder zu Orgasmus-Störungen führen.
Die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte sprechen diese "besondere Nebenwirkung" nur selten an. Die Betroffenen selbst reden meist auch nicht gerne darüber.

Viele übliche Verdächtige

Die Liste der möglicherweise für Sexualstörungen verantwortlichen Medikamente ist lang, wie Mag. a Martina Anditsch, Leiterin der Anstaltsapotheke im Wiener Allgemeinen Krankenhaus erklärt.
An erster Stelle stehen die Psychopharmaka: Aus den Gruppen der Antidepressiva und Antiepileptika können viele Substanzen die Sexualität beeinträchtigen. Es gibt aber auch solche, die diese Nebenwirkung nur selten aufweisen. Ein Gespräch mit den verschreibenden Ärzten kann helfen.
Außerdem können natürlich auch Schlaf- und Beruhigungsmittel lustdämpfend wirken.

Blutdrucksenker und Herzmedikamente

Alles was den Blutdruck senkt, kann auch eine Erektion beeinträchtigen. Für zwei Substanzgruppen gilt dies nicht: Die Alpha-1-Rezeptorenblocker und die Sartane sind erektionsfördernd - immerhin.
Fast alle anderen Blutdrucksenker und auch die Betablocker tun eher das Gegenteil.
Dies gilt auch für einige harntreibende oder entwässernde Medikamente (Diuretika).

Daran denken wenige

Auch bei den so häufig verschriebenen Lipidsenkern (Statinen )wird seit vielen Jahren darüber diskutiert, ob Impotenz eine mögliche Nebenwirkung ist. Eher sicher ist man sich diesbezüglich bei der Gruppe der nicht-steroidalen Antirheumatika. In manchen Fällen killt auch Kortison die Lust.

Hormone im Spiel

Hormonelle Therapien im Rahmen der Behandlung von Brust- oder Prostatakrebs können die Sexualfunktionen beeinflussen.
Auch hormonelle Therapien im Rahmen der Behandlung von Brust- oder Prostatakrebs nehmen Einfluss auf die Sexualfunktionen - ebenso wie die Anti-Baby-Pille: Viele Anwenderinnen berichten über eine verminderte Libido.

Zwar ordentlich Haare auf dem Kopf..

Die sogenannten 5-alpha-Reduktasehemmer werden gegen die gutartige Prostatavergrößerung eingesetzt. Finasterid - eine Substanz aus dieser Gruppe - wird als Mittel gegen Haarausfall beim Mann verwendet.
Alles was Testostern blockiert, kann auch das Lustempfinden verringern. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass auch nach Absetzen des Mittels die Potenzminderung weiterbestehen kann. Auch kein Spaß.

Alternativen möglich

Da diese unerwünschten Wirkungen aus Unwissen oder auch aus Scham nicht thematisiert werden, leiden viele Menschen an den psychischen und partnerschaftlichen Problemen, die mit Störungen der Sexualfunktion einhergehen.
Ein Gespräch mit einem Experten/einer Expertin lohnt sich: Denn es gibt es in vielen Fällen Alternativpräparate, auf die man bei Bedarf zurückgreifen kann.
Und ist eine Behandlung zwingend erforderlich, so besteht die Möglichkeit, mit Medikamenten gegenzusteuern, die die Erektionsfähigkeit oder auch das Lustempfinden wiederherstellen.
Langsam beginnt die Sexualmedizin mehr Aufmerksamkeit im Kollegenkreis zu schaffen. Interdisziplinäre Kongresse sollen die nötige fächerübergreifende Zusammenarbeit fördern - und Ärztinnen und Ärzte ermutigen, auch das Thema Sexualität in der Praxis bewusst anzusprechen.

Eine Sendung von Dr. Christoph Leprich und Dr. Ronny Tekal

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Haben Sie den Eindruck, dass sich Blutdruckmedikamente, Cholesterinsenker bzw. Antidepressiva negativ auf Ihr Sexualleben auswirken?

Wurden Sie von Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt aktiv auf mögliche Nebenwirkungen von Medikamenten hingewiesen?

Wird Ihrer Meinung nach ausreichend über diese Thematik aufgeklärt?

Moderation: Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger
Sendungsvorbereitung: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Service

Mag.a pharm. Martina Anditsch
Klinische Pharmazeutin
Leiterin Anstaltsapotheke Allgemeines Krankenhaus Wien
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
+43/1/404 00/15610
E-Mail
AKH Anstaltsapotheke

Dr.in Andrea Kottmel
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Sexualmedizinerin
Müllnergasse 26/15
A-1090 Wien
Tel: +43/1/699/162636666
E-Mail
Andrea Kottmel

Priv.-Doz. Dr. Florian Wimpissinger
Facharzt für Urologie
Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien
Juchgasse 25
A-1030 Wien
Tel.: +43/1/71165/4808
E-Mail
Florian Wimpissinger

Österreichische Gesellschaft für Urologie
Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Informationen über Sexualmedizin Elia Bragagna
Sexualmedizin Kongress November 2018
Artikel zu Sexualmedizin - Gesund in OÖ 2013
Österreichische Gesellschaft für Sexualwissenschaften
SexMedPedia - Informationen zur Sexualität

Michele Weiner Davies, "Lustlos: Was Frauen tun können, wenn er nicht mehr will",
Klett-Cotta Verlag 2017

Elisabeth Drimalla, "Amor altert nicht: Paarbeziehung und Sexualität im Alter", Vandenhoeck & Ruprecht 2016

Elia Bragagna, "Weiblich, sinnlich, lustvoll: Sexualität erfüllt erleben", Ueberreuter 2013

Georges Akoa, Maximilian Burger, "Prostatakrebs: Der Therapiebegleiter für Paare", Trias Verlag 2017

Rudolf Likar, Erwin Riess, "Unerhörte Lust: Zur Sexualität behinderter und kranker Menschen", Otto Müller Verlag 2016

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