le week-end auf Mittagsschlaf

27. Oktober 2018, 13:00

Wer sich zu hektisch fühlt fürs samstägliche Mittagsschläfchen, dem können wir helfen. "Lazy" oder "Laid-Back" oder wie auch immer man diesen Sound bezeichnen wollte: solch ein Höchstmaß an zurückgelehnter und doch aufmerksamer Entspannung wie dieser Aufnahme ist rar. Es ist ein Stück von Duke Ellington, aber dessen Kollege Buddy Tate nimmt nochmals ein paar entscheidende Grade Aufgeregtheit heraus. Diese Bläser, diese Hammondorgel, dieser Bass, ein schwebendes Gedicht in Laid-Back-Jazz. "The Mooche" mit dem Buddy Tate Celebrity Orchestra. Wir ziehen langsam die Vorhänge zu.
Hinter zugezogenen Vorhängen lässt sich außer schlafen anderes tun: zum Beispiel - geschützt vor neugierigen Blicken - im Verborgenen kleine Geheimnisse hüten.

Die Lust am rätselhaften, die teilen wir mit Edward Elgar. Er nannte eines seiner Orchesterwerke nüchtern "Variationen über ein eigenes Thema". Aber in der Partitur notierte er über diesem Thema das Wort Enigma und sagte später, dass ein geheimes Thema dieses Werk durchziehe, das aber nicht gespielt werde. Weitere Rätsel gab Elgar seinem Publikum auf, indem er jede der Variationen mit Abkürzungen und kurzen Worten in Klammer versah, zum Beispiel W.N. oder * in Klammer oder auch das Wort Nimrod. - alles verschlüsselte Widmungen. In le week-end dirigiert Leonard Bernstein das BBC Symphony Orchestra und seine Version von "Nimrod" aus den geheimnisverliebten Enigma Variationen entstanden nicht hinter sondern vor dem Vorhang, eine live-Aufnahme aus 1982 in der Royal Festival Hall, unendlich innig mit aller Zeit der Welt gespielt.
Als der Geiger Yehudi Menuhin, der Jahrzehnte zuvor selbst noch mit Elgar musiziert hatte, als er diese Aufnahme hörte, sagte er einen bemerkenswerten, kurzen Satz: "Ich habe noch nie etwas schöneres gehört"

Auch wir können das Rätsel der Enigma-Variationen, nämlich welch geheimes Thema sich laut seinem Komponisten Edvard Elgar durch dieses Werk zieht, nicht lösen. Das macht aber nichts, wir frönen ja heute der hohen Kunst des gepflegten Mittagsschlafs, und zu viel Grübeln wäre da kontraproduktiv. Wie unangenehm es sein kann, vor lauter Grübeln nicht Einschlafen zu können, wusste auch Hermann Karl von Keyserlingk, Russischer Gesandter am Dresdner Hof in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Paradoxerweise wollte er seine Schlaflosigkeit mit ebenfalls Variationen lindern, und zwar durchaus nicht weniger rätselhaften. In Graf Keyserlingks Diensten stand ein junger hochbegabter Cembalist, ein Schüler von Johann Sebastian Bach. Und so kam es, dass Bach den Auftrag bekam, ein Stück zu komponieren, dass der diensthabende Cembalist mit dem in die Musikgeschichte eingegangenen Namen Johann Gottlieb Goldberg im Vorzimmer zu spielen hatte, wenn der Herr Graf nicht schlafen konnte. All das berichtet Bachs Biograph Johann Nikolaus Forkel, und ob die Geschichte überhaupt stimmt, ist ebenso zweifelhaft, wie ob man zu dieser Musik tatsächlich einschlafen kann. Vielleicht war das aber auch gar nicht das Ziel, wenn man Forkels Bericht folgt: "Einst äußerte der Graf gegen Bach, daß er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Stunden ein wenig aufgeheitert werden könnte."


Ein Balanceakt zwischen Nervenberuhigung und Gemütserhellung: Die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, geschrieben um die Schlaflosigkeit eines gräflichen Auftraggebers zu lindern.
Mit weniger intellektueller Raffinesse aber vermutlich unmittelbarerem Erfolg versorgte hundert Jahre früher ein italienisch-französischer Kollege seinen schlaflosen Auftraggeber: Trios für den Schlaf des Königs schrieb Jean Baptiste Lully am Hof von Versailles. Für unseren heutigen Mittagsschlaf nun königliche Hilfe: Eine kleine Auswahl aus den von Jean Baptiste Lully für zwei Geigen und Basso Continuo geschriebenen 18 "Trios pour le coucher du roi".

Sendereihe

• Le week-end

Gestaltung

• Elke Tschaikner
• Christian Scheib