Ricardo Muti

APA / HANS PUNZ

Radiokolleg

Führen, hören, reagieren

Die Kunst des Dirigierens (2). Gestaltung: Stefanie Wolff

Wieso braucht ein Orchester überhaupt eine musikalische Leitungsinstanz? Kleine Ensembles scheinen doch gut ohne auszukommen. Ein wichtiger Grund liegt in der Größe. Ein Kollektiv von oftmals 80 oder 100 - meist hervorragenden - Instrumentalisten, die zudem alle ihren eigenen künstlerischen Kopf haben, ist ohne Koordination schwer denkbar.

Jemand muss den Überblick behalten und einen Zusammenhang herstellen bezüglich Tempo, Lautstärke-Verhältnissen, Phrasierung und Artikulation, muss für Transparenz und Fülle sorgen - und das in begrenzter Probenzeit.

Dafür braucht es ein profundes Wissen, große Musikalität, das genaue Studium der Partitur und die Kenntnis der Musizierpraxis der jeweiligen Zeit. Dazu menschliche Qualitäten wie Stärke und Sicherheit genauso wie Respekt, Geduld und Vertrauen.

Dirigentinnen und Dirigenten vermitteln zwischen der Intention des Komponisten, dem Werk, den Ausführenden und dem Publikum. Manche von ihnen sind Generalisten, andere dagegen Spezialisten eines bestimmten Repertoires. Alle sind sie beständig am Arbeiten, gleich ob sie schon lang im Berufsleben stehen oder gerade ihre Karrieren starten. Oksana Lyniv, derzeit Chefdirigentin der Grazer Oper, findet sogar, dass der Beruf immer schwieriger werde, je mehr die Karriere in Schwung komme.

Die Tätigkeit ist komplex. Letztlich geht es um Interpretation. Gustav Mahler wird der Ausspruch zugeschrieben, dass in der Partitur alles stehe, nur nicht das Wesentliche. Man werde selber ein bisschen zum Komponisten, sagt der Dirigent Herbert Böck, denn wie etwas gespielt werde, sei nicht weniger wichtig als das Werk selbst.

Was aber ist mit dem Mythos, der diesen Beruf umgibt, mit dem Glamour, der Eitelkeit, ja Selbstherrlichkeit mancher Dirigenten? Vielleicht sind die Zeiten der großen Pultstars, denen eine Fangemeinde nachreist, im Wesentlichen vorbei - wie auch die Zeiten eines autoritären Führungsstils. Heute ist alles kollegialer. Wer führt, muss im entscheidenden Moment auch loslassen können. Am Ende geschieht alles von selbst.

Sendereihe