Eine Tarantel auf rotem Hintergrund

AFP/JOEL SAGET

Radiokolleg - Pizzica pizzica

Über neue Tarantella-Strömungen in Italien (3). Gestaltung: Christina Höfferer

Die Pizzica pizzica ist ein uralter Tanz aus der Gegend von Lecce in Apulien. Bis in die 50er Jahre wurde die Pizzica Pizzica getanzt, dann kamen Migration und Modernisierung und die Pizzica Pizzica geriet in Vergessenheit. Anfang der 2000er erfuhr der alte Tanz einen neuen Energieschub, der eng mit der Wiederentdeckung der Praxis des Tarantismus einherging. Die Pizzica Pizzica ist der Soundtrack für den Tarantismus, eine archaische Musiktherapie. Wenn sich bei einer Apulierin, oft waren es Frauen, aber nicht nur, ein spürbares Unbehagen deutlich machte, welches aus psychologischer Sicht in Zusammenhang mit der Familien- und Sozialstruktur erklärt werden kann, dann besagte die Tradition, dass diese Person von der Taranta, der Tarantel gebissen worden sei. Um sich von dem Gift des meist metaphorischen Spinnenbisses zu befreien, musste man tanzen. Das komplexe Ritual des Tarantismus in Verbindung mit stundenlanger Performance der Pizzica Pizzica ist ein Heilungsprozess. Die Familie bestellte eine Musikgruppe, die anhand verschiedener Sounds und Rhythmen die betroffene Person nach anhaltendem exzessivem Tanz wieder zur Ruhe brachte.

Aus der Musik der Pizzica Pizzica und dem Ritual der Taranta entstand in Italien eine neue, höchst populäre, Musikströmung. Der Neapolitaner Eugenio Bennato entwickelte seine Bewegung "Taranta Power", der Musiker Vinicio Capossela erfuhr seinen Durchbruch mit "Il ballo di San Vito", 2019 gewann Capossela die Targa Tenco, den Preis für das beste Album, mit "Ballate per uomini e bestie", "Tänze für Menschen und Bestien".

Der Tarantismus wird heute vor allem im Zusammenhang mit dem Schamanismus studiert. Beide Phänomene beruhen auf denselben biophysikalischen Elementen, auf der physiologischen Antwort des Körpers auf bestimmte Rhythmen. Der Rhythmus muss nicht besonders akzentuiert, wohl jedoch regelmäßig sein, zwischen vier und zwölf Schläge pro Sekunde. Vor allem im Bereich um die sieben oder acht Schläge pro Sekunde kommt es zu einer Art Gleichklang von Musik und Gehirnwellen. Dieser wird mit dem Fachbegriff des "Entrainment" bezeichnet. Die Gehirnwellen verlangsamen sich, die Person gerät in Trance.

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