Österreichisches Parlament, Baustelle

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Radiokolleg - Der demokratische Rechtsstaat

Garantien und Verletzlichkeiten (2). Gestaltung: Margarethe Engelhardt-Krajanek

Mit seiner Aussage, das "Recht habe sich der Politik unterzuordnen", sorgte im Jänner 2019 der damalige Innenminister Herbert Kickl für heftige Proteste. Damit wäre der politischen Willkür Tür und Tor geöffnet. Denn das in der Verfassung verankerte Recht dient der Kontrolle des politischen Gestaltungswillens. Die Gewaltenteilung in gesetzgebende, ausführende und Recht sprechende Gewalt garantiert Beständigkeit. Die im Gesetz verankerten Rechte und Pflichten sollen langfristig die Organisation einer Sozietät gewährleisten. Stellt sich die Politik jedoch über das Recht, können politische Gruppierungen ihre Machtinteressen unkontrolliert verfolgen. Unrecht und Ungleichheit sind die Folgen.

Dass dieser Rechtsstaat ein kostbares Gut ist, zeigen die jüngsten Entwicklungen in Europa. In Ungarn wie in Polen führten Gesetzesänderungen dazu, Minderheiten auszugrenzen und die politische Opposition mundtot zu machen. Die rechtsstattlichen Kontrollinstanzen waren im Vorfeld ausgeschaltet worden. Noch drastischer sind Beispiele aus der Geschichte. Auf der Grundlage der Reichstagsbrandverordnung und des sogenannten Ermächtigungsgesetzes bauten die Nationalsozialisten mit der Machtübernahme 1933 die Verfassung der Weimarer Republik in ihrem Sinne um. Hunderte namhafte Juristen waren damit beschäftigt, mit der Formulierung von Gesetzesnovellen das praktizierte Unrecht der Nationalsozialisten zu rechtfertigen. In Österreich wiederum wurde mit der Ausschaltung des Parlaments 1933 der Rechtsstaat zugunsten eines Polizeistaates eingetauscht. Formal stützte sich der damalige Christlichsoziale Engelbert Dollfuß auf das Kriegsermächtigungsgesetz aus dem Jahr 1917, um eine Kanzlerdiktatur mit uneingeschränkter Gesetzgebungskompetenz einzurichten. Die Folgen waren Bürgerkrieg und Diktatur.

Der heute in Österreich geltende Rechtsstaat beruht auf dem Verfassungsentwurf von 1920, den der Rechtsphilosoph und Staatsrechtler Hans Kelsen gemeinsam mit den Sozialdemokraten Karl Renner und dem Christlichsozialen Michael Mayr entwickelte. Die Grundlagen bot das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger aus dem Jahr 1867. Nach dem 2. Weltkrieg griffen die Juristen auf die von Hans Kelsen entworfene Verfassung zurück. Mit dem Neutralitätsgesetz 1955 und der Ratifizierung der Menschenrechtskonvention 1958 wurden weitere Schritte in Richtung liberaler Demokratie gesetzt. 2012 wurde die EU-Grundrechtcharta in den Verfassungsrang erhoben. Mit dieser österreichischen Verfassung werden die demokratischen Grundrechte jedes Bürgers und jeder Bürgerin geschützt.

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LITERATUR:

Gertrude Brinek, "Vom wahren Leben im Rechtsstaat. Aufzeichnungen einer Volksanwältin. Mit einem Beitrag von Peter Resetarits." Verlag Styria 2012

Heinz Fischer, "100 Jahre Republik. Meilensteine und Wendepunkte in Österreich 1918 - 2018" Czernin 2018

Ludwig Adamovic, Bernd-Christian Funk, Gerhart Holzinger, "Österreichisches Staatsrecht: Band 3: Grundrechte" Verlag Österreich 2019

Niklas Luhmann, "Vertrauen" UTB Verlag 2014

Herlinde Pauer-Studer, Julian Fink, "Rechtfertigung des Unrechts. Das Rechtsdenken im Nationalsozialismus." Suhrkamp 2014

Ilse Reiter-Zatloukal, Christiane Rothländer, "Österreich 1933-1938: Interdisziplinäre Bestandsaufnahmen und Perspektiven." Böhlau Verlag 2012

Eva Schulev-Steindl, "Verwaltungsverfahrensrecht" Verlag Österreich 2018

"Hans Kelsen und die Bundesverfassung. Geschichte einer Josefstädter Karriere" Katalog zur Ausstellung im Bezirksmuseum Josefstadt, 30. September 2010 - 27. Februar 2011


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