Ö1 Kunstsonntag: Überblick

Igor Levits 16stündiger Klaviermarathon

Gestern um punkt 14h Mitteleuropäischer Zeit setzte sich der deutsch-russische Pianist Igor Levit in einem Berliner Studio ans Klavier, um eines der längsten Stücke der Musikgeschichte zu spielen. 16 Stunden lang.

Die Marathon-Performance zwischen Selbstgeißelung und meditativer Versenkung

Die Partitur von Eric Saties "Vexations", zu Deutsch "Quälerei", umfasst eine einzige Seite. Ein Thema und zwei Variationen sollen laut Angabe des Komponisten 840 Mal wiederholt werden. Komponiert 1893, nimmt Satie mit diesem repetitiven Arrangement Verfahren der Avantgarden des 20. Jahrhunderts vorweg. Er habe sich lange mit dem Stück beschäftigt, so Igor Levit im Interview mit Spiegel-Online. Nun sei der richtige Zeitpunkt, um es aufzuführen. "In einer Zeit, in der Künstler und Künstlerinnen nicht auftreten dürfen, ist dieses Stück für mich wie ein stummer Schrei."

Mit seiner Marathon-Performance, die an die brachialen Selbstgeißelungen einer Marina Abramovic erinnert, wollte Levit auf das Leid der Künstler während der Corona-Krise aufmerksam machen, es gewissermaßen spiegeln. Auf einer leeren Bühne in einem Berliner Studio steht ein Flügel. Rings um liegen Notenblätter auf dem Boden. Im Laufe des Abends werden es immer mehr. Mit stoischem Gleichmut spielt Igor Levit, musikalische Phrasen, die sich beständig wiederholen. Der 33jährige Pianist wirkt entrückt. Ob dieser Eindruck seiner Erschöpfung oder einem Zustand kontemplativer Versenkung geschuldet ist, it nicht zu erkennen. Auf Spiegel Online, der Website des New Yorker und auf seinem persönlichen Twitter-Kanal konnte man die ganze Nacht einer musikalischen Performance beiwohnen, die wohl in die Geschichte eingehen wird.

Monologe aus dem Lockdown

Weil die Konzertsäle geschlossen sind, spielte der 33jährige Ausnahmepianist bereits während des Lockdowns jeden Abend Punkt 19h ein Hauskonzert auf seinem Twitter-Kanal. Der Erfolg beim Publikum war enorm. Levits Konzerte haben längst Kultstatus erreicht. Ebenfalls während des Lockdowns ist die Radiosession entstanden, die Helmut Jasbar nun präsentiert. Sie wird heute vom gefragten Bassklarinettisten und Sopransaxofonisten Klaus Gesing bestritten. Gesing hat am Konservatorium in Den Haag studiert. Gemeinsam mit dem Pianisten Glauco Venier (Weniär/venière) und der britische Sängerin Norma Winstone formierte er ein Trio, das für sein 2008 erschienenes Album "Distances" für einen Grammy nominiert wurde. Gesing hat mit vielen namhaften Künstlern und Künstlerinnen gespielt - unter anderem mit dem österreichischen Komponisten und Saxophonisten Wolfgang Puschnig. In Zeiten des Corona-Notstands ist aber freilich auch Klaus Gesing auf den Geschmack des musikalischen Monologs gekommen.


Der Monolog war auch die Ausdrucksform, die ihn zur Höchstform auflaufen ließ. Ob in seinen literarischen Texten oder den berühmt gewordenen "Monologen auf Mallorca", die ORF Journalistin Krista Fleischmann 1981 dokumentiert hat, der österreichische Übertreibungsvirtuose Thomas Bernhard liebte es zu monologisieren: Gerne erhob Bernhard seine Stimme zu einer Suada, die in alle Richtungen austeilte. Vor allem mit seinen Österreichbeschimpfungen hat Bernhard aufhorchen lassen. Im November 1988, kurz vor Bernhards Tod, feierte sein Stück "Heldenplatz" am Burgtheater Premiere. Es ist ein Stück, das wesentlich dazu beigetragen hat, einen bis in die 1980er Jahre unhinterfragten Gründungsmythos der 2. Republik, der Österreich zum erstes Opfer Nazi-Deutschlands stilisierte, ins Wanken zu bringen.

Der Süden: Himmelsrichtung und Sehnsuchtsort!

So zwiespältig Thomas Bernhards Verhältnis zu Österreich war, so sehr liebte er den westeuropäischen Süden. Berühmt wurden Bernhards "Monologe auf Mallorca", in denen er das Fernsehinterview im Geiste der künstlerischen Performance neu erfindet. Nicht nur Spanien, auch Portugal war für den Alpen-Beckett ein Sehnsuchtsort, den er immer wieder aufsuchte. In ihrem Feature "40 Grad Unterschied. Thomas Bernhard und Portugal" nimmt Julias Schlager diese Fährte auf.

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