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GEMEINFREI

Radiokolleg - Mehr ist Mehr

Maximalismus in der Musik (1). Gestaltung: Thomas Mießgang

"Pump up the Volume" hieß ein Popsong aus den 1980er Jahren: Das Volumen aufpumpen, den Sound verstärken, die Klangvision aufblasen: Das waren zu allen Zeiten und in allen Genres immer schon Optionen, die von Musikschöpfern gerne genutzt wurden: Ob es sich nun um die "Symphonie der Tausend" handelt, mit der Gustav Mahler am Beginn des 20. Jahrhunderts eine Art orchestrales Heavy Metal veranstaltete oder um die "Wall of Sound", die Phil Spector mit vielfach übereinander gelegten Tonspuren im Charts-Pop der 1960er Jahre auftürmte.

Ob es um den brüllenden Free Jazz geht, den John Coltrane mit seiner Big Band-Klangorgie "Ascension" von der Leine ließ oder um die immersiven Ganzkörpererlebnisse des Psytrance-Musik, mit der gigantische Raves beschallt werden. Das "Mehr ist Mehr" einer maximalistischen Musikvorstellung hat, gerade auch im Vergleich zum "Weniger ist mehr" des Minimalismus immer wieder Konjunkturen erlebt, mit einem Sinnesrausch, dessen Programm auf die totale Überwältigung des Publikums abzielt.

Das kann durch nachgerade übermenschliche Komplexität wie bei den kaum noch dechiffrierbaren Kompositionen von Brian Ferneyhough genauso bewerkstelligt werden wie durch die ohrenbetäubende Laustärke der Drones von Phil Niblock der der Rockband SunnO))). Aber auch die akustischen Splitterbomben, die das Produktionsteam The Bomb Squad für die Rapper von Public Enemy produziert hat und das Helikopterquartett von Karlheinz Stockhausen, bei dem die Instrumentalisten hunderte Meter über dem Publikum kreisen, gehört in den maximalistischen Diskurszusammenhang.

Es geht beim Klang-Maximalismus um akustische Superkräfte, die, mal elektronisch, dann wiederum durch schiere Massierung konventioneller Instrumente, entfesselt werden, um den Hörer zu verzwergen und im Flow mitzunehmen - man könnte auch von einem akustischen Safe Space sprechen, der einen trägt und beschützt, indem er alle anderen Klangsignale ausblendet und blockiert. Georges Bataille würde von der Aufhebung des Leides der Isolierung in der diskontinuierlichen Individualität durch das Aufgehen im kontinuierlichen Klangstrom der trance-induzierenden maximalistischen Sounds sprechen.

Im Gegensatz zum Minimalismus, der an einer Mikrokalibrierung des Bewusstseins arbeitet, schaltet der Maximalismus die kognitiven Rezeptoren des wahrnehmenden Subjektes weitgehend aus und überschwemmt es mit dröhnenden Frequenzen, übermenschlicher Fingerfertigkeit, exzessiver kompositorischer Raffinesse oder bauchfellerschütternden Vibrationen, die das erotische Zentrum des Körpers stimulieren. Das ist faszinierend, wenn auch oft too much und kann auch gefährlich werden. Denn Musik, schreibt der Philosoph Arthur Schopenhauer sei "so sehr viel mächtiger und eindringlicher als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

  • Thomas Mießgang

Playlist

Komponist/Komponistin: Wilson
Titel: Good Vibrations
I: Beach Boys
Label: Emidisc

Komponist/Komponistin: Spector Greenwich
Titel: River Deep, Mountain High
I: Ike & Tina Turner
Label: Phillies RecordsPHLP-4011

Komponist/Komponistin: Schmelzer
Titel: Arie per il Balletto a Cavallo
I: Ensemble Baroque de Vienne
Label: Erato LDE 3330

Komponist/Komponistin: Strauss
Titel: An der schönen blauen Donau
I: Berliner Philharmoniker
Label: Deutsche Grammophon 2532

Komponist/Komponistin: Strauss
Titel: Pizzicato Polka
I: Minneapolis Symphony Orchestra
Label: Victor Red Seal 1757

Komponist/Komponistin: Stockhausen
Titel: Helikopter Streichquartett
I: Arditti Quartet
Label: Naive MO 782097

Komponist/Komponistin: Xenakis
Titel: Pithoprakta
I: Ensemble Instrumental De Musique Contemporaine De Paris*
Label: Le Chant du Monde LDX-A-8368

Komponist/Komponistin: Kanye West
Titel: Runaway
I: Kanye West
Label: Roc-A-Fella Records B0014695-02

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