Judith Butler

UNIVERSITY OF CALIFORNIA, BERKELEY

Radiokolleg - 30 Jahre Gender Trouble

Wie Judith Butler die queer Theory erfand (2). Gestaltung: Irmgard Wutscher

Dieses Jahr wird eines der einflussreichsten philosophischen Werke dreißig Jahre alt: "Gender Trouble" erschienen 1990 auf Englisch, 1991 unter dem Titel "Das Unbehagen der Geschlechter" auf Deutsch machte Judith Butler zu einer der bekanntesten Philosoph/innen überhaupt. Sie genießt Popstar-Status und auf den Universitäten gab es seit den 1990er Jahren einen regelrechten Butler-Hype.
Die Einsicht zu "Gender Trouble" soll der jungen Judith Butler beim Besuch einer Travestie-Show gekommen sein, wo sie feststellen musste, dass diese Männer* Weiblichkeit wesentlich überzeugender darstellten, als sie es je können würde.

Aus diesem Gendanken heraus, so die Legende, entwickelte Butler ihre Ideen zur Dekonstruktion von Gender.
Ausgehend von Simone de Beauvoirs Aussage "Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht" postuliert Butler, dass Geschlecht keine natürliche oder ontologische Tatsache ist, sondern durch Handlungen hergestellt werden muss - doing gender. Frau-Sein oder Mann-Sein sind sehr instabile Angelegenheiten, es gibt z.b. widersprüchliche Anforderungen was Mann-Sein in welchem Kontext bedeutet, deswegen muss die Verwirklichung von Männlichkeit scheitern beziehungsweise permanent aufs Neue performativ hergestellt werden.

Das bezieht Butler nicht nur auf das soziale Geschlecht - gender - sondern auch auf das biologische Geschlecht - sex. Auch der Geschlechtskörper existiert laut Butler nicht als natürliche Tatsache außerhalb einer sprachlichen Realität.
So abstrakt diese Gedanken aber erst einmal sind, so praktisch haben sie sich in den letzten dreißig Jahren auf unser Leben ausgewirkt: Etwa bei der Gender Medizin, wo erkannt wurde, dass Medikamente sich auf Frauenkörper anders auswirken als auf Männerkörper. Oder die (stärkere) öffentliche Wahrnehmung von Transgender-Rechten und Intersex-Personen, was unter anderem zu einer dritten Geschlechtsoption im Pass geführt hat und auf Facebook zu der Tatsache, dass mensch zwischen 58 Option auswählen kann, das eigene Gender zu benennen.

Gerade die Dekonstruktion der Kategorien "Frau" und "Mann" ist es aber auch, die Butler zu einer der prominentesten Reibefiguren gemacht hat - in den unterschiedlichsten Kontexten. Zum einen stellt Butler eine der zentralen Kategorien der feministischen Wissenschaft "die Frau" infrage, was auch ein Problem für politische Forderungen des Feminismus darstellt. Auf der anderen Seite ist Gender vor allem für die rechtspopulistische Welt ein rotes Tuch, für Politiker wie Orban über Bolsonaro bis zur FPÖ.
Was kann man also sagen über ein hochphilosophisches Werk, das wahrscheinlich die wenigsten gelesen haben und zu dem trotzdem jede*r eine Meinung hat? Irmgard Wutscher arbeitet Gender Trouble noch einmal auf und fragt sich, welche Veränderungen es in den letzten dreißig Jahren ausgelöst hat.

Service

Ruth Becker, Beate Kortendieck: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Springer VS.

Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Edition Suhrkamp.

Hannelore Bublitz: Judith Butler zur Einführung, Junius Verlag.

Jens Kastner, Lea Susemichel: Identitätspolitiken - Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken, Unrast Verlag.

Paula-Irene Villa: Judith Butler: Eine Einführung, Campus Verlag.

Heinz-Jürgen Voß: Geschlecht - Wider die Natürlichkeit, theorie.org.

ARTE: Judith Butler - Philosophin der Gender. Dokumentation aus dem Jahr 2006.


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