Bernadette Spitzer über Heilige

24. Jänner 2021, 06:55

"Was, Du beschäftigst Dich mit Heiligen?" Diese Frage wird mir oft gestellt. Sie ist nicht böse gemeint, offenbart aber, was sich Viele unter Heiligen vorstellen. Ich fasse zusammen: Heilige sind Zauberer für das einfache Volk, die Wunder wirken sollen, wenn man sich im Gebet an sie wendet. Ihre Biografien sind realitätsfremd. Wer modern und gebildet ist, braucht sie daher nicht.

Und das passt halt, so meinen diese Leute, nicht mit mir zusammen. Ich habe Theologie studiert, gehöre somit der Bildungsschicht an, werde als eher nüchtern beschrieben und lebe mit meiner Familie ein völlig normales Leben.

Ich kann diese Haltung der Skepsis gut nachempfinden, denn sie war lange auch meine. Als Kind habe ich Heilige als Gemälde oder Skulpturen in Kirchen kennengelernt. Ich habe mich gewundert über ihre seltsamen Gewänder und ihre Heiligenscheine, die ich an keinem lebendigen Menschen gesehen habe. Ihre oft schmerzverzerrten Blicke, weil sie gerade gefoltert wurden, haben auch nicht dazu beigetragen, mich mit ihnen beschäftigen zu wollen. Trotz der Bemühungen meiner Eltern, sie mir positiv näherzubringen, habe ich mit ihnen nichts anfangen können. Auch nicht mit meiner eigenen Namenspatronin Bernadette Soubirous, der Seherin von Lourdes. Kein Wunder, wem erscheint schon die Muttergottes?

Außerdem war ich mir sicher, dass man, um heilig zu werden, sehr brav sein müsse. So realistisch war ich schon als Kind, zu wissen, dass sich das für mich nicht ausgeht, und deshalb habe ich das Thema bald abgehakt. Später, im Theologie-Studium, sind uns Heilige als normale Menschen nähergebracht worden. Die Distanz verringerte sich. Das hat gutgetan.

Und dann habe ich einen Wiener Seligen entdeckt: Anton Maria Schwartz. Er war ein Priester, der sich im Wien der Gründerzeit um Lehrlinge kümmerte. Und da habe ich auf einmal begriffen, worum es geht: nicht nur fromm zum Himmel schauen, sondern etwas für die Mitmenschen tun.

Anton Maria Schwartz kommt 1852 als Sohn eines Gemeindesekretärs aus Baden zur Welt. Er wird Priester und Krankenseelsorger bei den Barmherzigen Schwestern im heutigen 6. Wiener Bezirk. Dort trifft er einen Jugendlichen, der zu ihm sagt: "Für alle gibt es in der Kirche einen Orden, nur für uns Lehrlinge nicht." Das ist für Schwartz ein Ruf Gottes. Mit Gespür für das, was die Jugendlichen brauchen, avanciert er zum Pionier der modernen Lehrstellenvermittlung. Seinen Schützlingen gibt er Unterkunft, bringt ihnen Umgangsformen bei, spielt mit ihnen Theater und betet mit ihnen.

Den Lehrherren verspricht er, dass seine Lehrlinge gewissenhaft, ehrlich und pünktlich sein werden. Im Gegenzug verlangt er deren anständige Behandlung, die 48-Stunden-Woche, freie Sonntage und Urlaub. Er tritt für eine Sozialversicherung und Gewerkschaften ein und nimmt, wenn es sein muss, auch an Streiks teil. So vermittelt Schwartz mehr als 6.000 Stellen bei 1.000 Meistern. Mit den Männern, die ihm helfen, gründet er die Kongregation der Kalasantiner. Alles, was er tut, tut er mit Blick auf Gott - und auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.

Das bedeutet nicht, dass alle Heiligen so tatkräftig waren. Sie waren ja auch "nur" Menschen und hatten ihre Schwächen. Viele von ihnen beeindrucken mich aber, so wie Anton Maria Schwartz, mit ihrem Idealismus und ihrem Gespür für die Nöte der Zeit. Sie haben eine Kraftquelle, die ihnen Energie zum Durchhalten auch in schwierigen Phasen gibt und stellen so eine wertvolle Bereicherung für jede Gesellschaft dar.

Service

Bernadette Spitzer, "Von Bischofsstab bis Besenstiel - mit 365 Heiligen durchs Jahr", Dom-Verlag

Sendereihe

• Zwischenruf

Gestaltung

• Brigitte Krautgartner