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Radiogeschichten Spezial
Der Ö1 Essay von Egon Friedell
Der Ö1 Essay: Egon Friedell: "Diplomatie" und "Grauenerregende Zustände in einer Wiener Redaktion". Es liest Wolfgang Hübsch
19. Juli 2024, 11:05
Wenige Tage nach dem "Anschluß" Österreichs ans Deutsche Reich, am 16. März 1938, sprang der Schriftsteller Egon Friedell aus dem Fenster seiner im dritten Stock gelegenen Wohnung in Wien-Währing in den Tod. Kurz zuvor hatten zwei SA-Männer an der Wohnungstür des Schriftstellers geklingelt und seiner Haushälterin erklärt, sie wollten "den Juden Friedell" sprechen. Bevor der Autor seinem Leben ein Ende setzte, soll er es nicht verabsäumt haben, vom Fensterbrett aus allfällige Passanten unten auf der Straße mit dem Ausruf zu warnen: "Treten Sie zur Seite!"
Egon Friedell, Jahrgang 1878, der Fabrikantensohn aus Wien, war eine Figur, wie sie heute nicht mehr denkbar wäre. Seine künstlerischen Anfänge machte der früh verwaiste Spross einer jüdischen Tuchfabrikantenfamilie als Essayist und Feuilletonist für diverse Zeitschriften in Wien und Berlin, daneben brillierte der studierte Philosoph als Komiker und Kabarettist. Unter Max Reinhardt wurde er sogar zum Theaterschauspieler. Er war aber auch ein Vertreter der Wiener Moderne und rückwärtsgewandter Utopist, neurotischer Bonvivant und selbsternannter Künder einer am Mittelalter orientierten christlichen Restauration.