Martin Schenk

Martin Schenk - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

Haltungsfragen

von Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie Österreich und Psychologe

Ein Klassenzimmer. Der Unterricht läuft, ein Schüler sitzt da, Kopfhörer im Ohr, die Musik leise hörbar. Ein anderer hat die Füße auf dem Tisch, zwei raufen sich leise im hinteren Teil des Raumes, ein dritter tippt auf seinem Handy. In einem Experiment wurden angehenden Lehrkräften genau solche Bilder gezeigt - Fotos von Schülerinnen und Schülern, die aber unterschiedliche soziale Schichten repräsentierten.

Die Aufgabe: Spontan angeben, welche disziplinarische Maßnahme in der jeweiligen Situation angemessen erscheint. Ignorieren? Ein leises Gespräch unter vier Augen? Eine Rüge vor der Klasse? Eine offizielle Ermahnung, eine Klassenbucheintragung, vielleicht sogar eine Suspendierung?

Das eindrückliche Ergebnis der Untersuchung: Fast 40 Prozent der Lehrenden behandeln die Kinder unterschiedlich - und zwar nach deren sozialer Herkunft. Auffallend war, dass für Kinder aus der Mittelschicht öfters disziplinäre Handlungen gewählt wurden, die in einem diskreten leisen Gespräch vonstattengingen, aber für Kinder mit Herkunft von "unten" wurden disziplinäre Maßnahmen gewählt, die den Schüler vor der ganzen Klasse zur Rechenschaft zogen. Die einen diskret privat, die andern beschämend und öffentlich.

Haltung und Erwartung haben riesige Folgen für Kinder. In einem ähnlichen Experiment wurde Lehrpersonen gesagt, dass bestimmte Kinder in den Klassen überdurchschnittlich intelligent seien. Die Lehrkräfte wussten allerdings nicht, dass die angeblich intellektuell weiterentwickelten Schüler ganz willkürlich gewählt worden waren. Für diese zufällig als gescheiter gesehenen Kinder hatte das eine große Wirkung in Lernen und Leistung. Die Lehrer investierten mehr Zeit, zeigten größere Geduld und schenkten ihnen mehr Zuwendung.

Wer als lehrende Person glaubt, dass ein Kind etwas kann, der sorgt eher dafür, dass es das auch tut. Wer hingegen auf Fehler wartet, wird sie auch finden. Schule ist nicht nur ein Ort des Lernens - sie ist ein Ort der Bestätigung dessen, was wir insgeheim schon glauben.

Service

Martin Schenk, Hedwig Wölfl, "Was Kindern jetzt gut tut. Gesundheit fördern in einer Welt im Umbruch, AmPuls Verlag

Diakonie: Therapie und Diagnose für Kinder und Jugendliche
Rat auf Draht 147
Diakonie: Schulassistenz für Schülerinnen und Schüler
Diakonie: Sesam
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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Maurice Ravel
Album: Complete Works for Solo Piano
* Nr. 5: La vallée des cloches. Très lent
Titel: Miroirs. 5 Stücke für Klavier
Anderssprachiger Titel: Spiegelbilder
Anderssprachiger Titel: Das Tal der Glocken
Solist/Solistin: Jean-Efflam Bavouzet
Länge: 05:29 min
Label: CHANDOS CHAN20287 EAN: 0095115228722

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