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Erinnerungen von Melitta

Melitta Matousek, Jahrgang 1955 - 28. März 2025, 16:06

Erinnerungen an Erzählungen meiner Familie aus der Nachkriegszeit in Wien

Ich bin im Jahr des Staatsvertrags als Älteste von drei Geschwistern geboren.

Juden und Nazis: in unserer Familie wurde immer hinter vorgehaltener Hand geflüstert „der war auch Parteimitglied“, meine Mutter war mit einem Mädchen aus dem Reichsarbeitsdienst befreundet. Musiziert wurde mit einer Dame namens Seyss-Inquart – erst sehr viel später merkte ich etwas… Einladungen bei jüdischen Freundinnen waren oft.

Ein Freund meines Großvaters, geboren 1898, „erzählte nie etwas vom KZ“, es blieb geheimnisvoll. Es wurde nie offen über diese Zeit geredet, eher nur Bemerkungen „die Oma war so mutig, sie ist immer in jüdische Geschäfts einkaufen gegangen“, oder „der RAD war eh nicht so arg, wir durften am Sonntag in die Kirche gehen!“ ?

Meine Großmutter, geboren 1899, erhielt das eiserne Mutterkreuz: mein Vater hatte noch vier Geschwister. Als tiefgläubige Katholikin war sie sehr stolz darauf. Mein Vater, geboren 1914, lernte Neugriechisch in der Hoffnung, dann nicht „an die Front“ zu müssen, stimmte auch, er war Funker und Übersetzer. Meine Mutter, geboren 1925, wollte Säuglingsschwester lernen, mein Großvater – ahnte er etwas? – verbot es ihr mit „wer weiß, was du dann machen musst“. Schlussendlich studierte sie Germanistik und dissertierte über einen damals wie heute unbekannten Dichter.

Meine Eltern heirateten 1951 in Wien, gemeinsam mit den beiden Brüdern des Vaters, getraut von ihrem Onkel, dem Bruder der Großmutter! Mutter und Vater erzählten noch später vom Stress dieser Feier mit drei verschiedenen Verwandtschaften. Eine Freundin der Familie nähte aus einem alten Kleid ihr Hochzeitskleid.

Meine Mutter litt sehr darunter, dass sie für die Uni einen Aufstrich aus gekochten Erdäpfeln auf ein hartes Brot als Imbiss mitbekam. Sie erzählte auch, dass meine Großmutter, geboren 1898, sie mit weiter unansehnlicher Kleidung anzog – wohl, um damit etwaigen Vergewaltigungen zu entgehen.

Hier haben wir noch ein Kriegstagebuch meines Vaters und einige Fotoalben, sowie Tagebücher meiner Mutter, die überwiegend in Kurrent geschrieben sind.

Durch den Schatten singen

Ruth Margot - 28. März 2025, 15:28

Mein Vater Antonio Corrias war italienischer Partisan und Sarde. Nach dem 2. Weltkrieg bekam er das Kriegsverdienstkreuz, aber als mein Vater versagte er.

Während dem 2. Weltkrieg nahm mein Vaterland 105 000 Soldaten und Partisanen auf und rettete sie vor dem Tod durch die Faschsten. Zuerst plante die Schweiz ein grosses "Conzentrationslager" in Büren an der Aare. Der Plan wurde aufgegeben und die fremden Internierten wurden auf ca. 600 kleinere Lager, meist in Schulhäusern und Sälen der Gasthöfe von Dörfern verteilt.

Am 12. Oktober 1944 bat der Partisan Antonio Corrias am Grenzposten in Brig um Asyl. Er kam einige Wochen später ins kleine Bauerndorf im Emmental, nach Ursenbach.
Antonio begegnete meiner Mutter, die in der Dorfbäckerei das Brot verkaufte.

Hätte meine Mutter den "Orangenen Befehl" von der Schweizerischen Armeeführung befolgt, wäre ich nicht geboren worden.

Nach kurzer Liebe war der Krieg zu Ende, Antono kehrte nach Italien zurück und ich kam am 25.Dezember 1945 von niemandem gewünscht auf die Welt.

Heute bin ich 80 jährig und fühle die Narben der schlimmen Kindheit nach wie vor. Von meinem Vater habe ich aber die wunderbare sardische Stimme geerbt. Sie hat mir zum Überleben geholfen.

Nach längerem Überlegen habe ich als Roman meine Biografie geschrieben:

Ruth Margot
Durch den Schatten singen
Weber-Verlag Thun

Ich hoffe, dass dieses Buch Menschen mit zwei Heimaten zu einer guten Zukunft hilft.

Webseite
http://www.margotmargot.ch

Social Media Seite
https://www.facebook.com/res.margot

Maria schließt ab

J. Mederer - 28. März 2025, 09:50

Literarischer Text über eine wahre Begebenheit.

Maria schließt ab
Die Fenster von innen, die Fensterläden von außen. Verriegelt, nochmals kontroll-gerüttelt. Einen der Fensterläden drückt sie nur fest zu. Den hat eines der Kinder kaputt gemacht, er kann nicht mehr verriegelt werden. Zum Schluss noch die Tür zum Wohnbereich mit dem Riegel innen. Wie jeden Abend schließt Maria den Hof sorgfältig ab.
1945. Gegen Ende des Krieges. Die Alliierten bombardieren Dresden und Berlin. Und trotzdem: Der Endsieg steht vor der Tür. „Wir siegen“, das haben alle im Ohr und glauben daran, die einen mehr, die anderen weniger. Maria und Josef zählen zu den anderen. Das wissen aber nur sie beide. Weder Nachbarn noch Geschwister kennen die Hoffnungen und Gesinnungen der Menschen, die ihnen am nächsten stehen.
Auf Hören des Fremdsenders steht die Todesstrafe.
Ein paar dünne Strähnen verraten, dass unter Marias Kopftuch ihr Haar schwarz ist. Es knistert. Im Ofen. In der Luft. Das Radio. Die letzten trockenen Äste. Die Frage nach dem Endsieg. Maria hat ihre Pantoffel ausgezogen und steht strumpffüßig im Kittel auf dem Diwan. Sie muss sich trotzdem strecken, um ihr Ohr ans Radiogerät zu legen. Weil das Radio steht weit oben, unter dem Kruzifix, im Herrgottswinkel. Vielleicht hilft's. Dass der Endsieg schon vor der Tür steht, sagen alle Stimmen, außer die im Radio. Maria schiebt das Kopftuch auf der rechten Seite hinters Ohr, es ist nun ganz nah am Gerät. So nah, dass sie die Kälte des Metalls spürt. Mit der rechten Hand greift sie nach dem schwarzen Regler. Langsam dreht sie den Daumen nach links, gleichzeitig den Zeigefinger nach rechts, bis sich der Knopf bewegt. Ihre Hand zittert leicht. Das Knistern aus dem Gerät wird lauter. Stück für Stück, Millimeter um Millimeter. Ein Summen; ein Summen das sich zu Flüstern formt, ein Flüstern, das sich schließlich zu Stimmen formt. Stimmen aus London. Verbotene Stimmen, verbotener Fremdsender. Schallwellen bringen Marias Trommelfell zum Schwingen und werden englische Worte in ihrem Kopf. Wenn sie so ans Radio gelehnt dasteht, sieht sie gut zu den beiden Fenstern hin. Ihre reglosen Augen wandern vom rechten zum linken Fenster. Schließlich fixiert sie das linke Fenster – das mit dem lädierten Fensterladen, dem Fensterladen, der nicht geschlossen werden kann. Plötzlich. Der Laden bewegt sich. Maria erstarrt. Zuerst ihre Augen, dann ihr Körper. Der Laden bewegt sich weiter nach außen. Knarrt. Ein Schatten vorm Fenster.
Tock, tock, tock.
Später wird Maria erzählen, dass sie innert Sekundenbruchteilen abgeschlossen hat.
Mit dem Leben.
Mit ihrem.
Mit dem von Josef.
Mit denen ihrer elf Kinder.
Und wieder: Tock, tock, tock.
Er wollte sich etwas ausborgen. Heute kann sie nicht mehr sagen, was es war. Vielleicht ein Brot oder ein Nähgarn oder ein Werkzeug. Es war ein Nachbar. Und das Wichtigste: er war ihnen gut gesinnt.
*
Acht Tage später sind sich auch die Stimmen außerhalb des Radios einig, dass zu diesem Zeitpunkt der Endsieg nur noch in einem Kopf Realität war. Bis auch hier die Stimme zum Flüstern wurde, das Flüstern zum Summen verkümmerte und schließlich für immer verstummte.

Der Vorname 1945

Edith - 27. März 2025, 22:22

Durch Bombenangriff auf Wiener Amtshaus bekam meine Schwester ihren richtigen Vornamen.

Meine ältere Schwester kam am 14.2.1945 im Spital zur Welt. Sie war sehr schwach und hat schlecht getrunken. Eine Schwester im Spital meinte, das Baby werde nicht überleben. Dank der Mithilfe der ganzen Familie hat es überlebt.
Noch im Spital bat meine Mutter ihre Mutter, das Baby amtlich eintragen zu lassen. Als meine Großmutter zurück kam, traf meine Mutter fast der Schlag:
Statt den von meinen Eltern ausgesuchten Namen „Renate“ stand auf dem Geburtsschein „Rosina“. Keine Ahnung warum meine Großmutter diesen Namen gesagt hatte. Vielleicht gefiel er ihr besser, oder sie hat in der allgemeinen Aufregung – es gab öfter Bombenalarm – den Fehler begangen.
Zum Glück für den Familienfrieden fielen wenig später Bomben auf das Amtshaus Hietzing und alle Dokumente gingen verloren. So kam meine Schwester doch noch zu ihrem ausgewählten Vornamen.

Ein Neubeginn

Dr. Silvia Zenta - 27. März 2025, 19:38

Familienzusammenführung

Meine Eltern hatten 1941 geheiratet, meine Mutter lebte während des Krieges in Wien. Nach Kriegsende hatte sie die Gelegenheit, zu meinem Vater nach Knittelfeld zu kommen, wo er nach seiner Heimkehr aus dem Krieg in der englischen Besatzungszone Arbeit gefunden hatte.
Im Oktober 1945 erhielt sie ihren Identitätsausweis, waren doch verschiedene Besatzungszonen zu überschreiten. Sie erinnert sich. " Nach einer Zugfahrt von über 24 Stunden im Güterwaggon, auf Eisenstangen sitzend, erreichten wir Knittelfeld. Mehrmals blieb der Zug stehen, dann wieder wurde der Waggon abgekoppelt und auf einem Nebengeleis abgestellt." Die Kontrolle durch russische Soldaten überstand meine Mutter unbeschadet, eingehüllt in einen unförmigen, pelzgefütterten Herrenmantel und in Begleitung ihres Ehemannes.
(Dieser Mantel -"Stadtpelz" genannt- diente nicht nur meiner Mutter zur Bequemlichkeit, sondern sie transportierte das gute Stück von Wien nach Knittelfeld, wo es seinem Besitzer übergeben wurde.)
Um Mitternacht stiegen meine Eltern aus dem Zug und kamen in der zum Großteil zerbombten Stadt an, in der sie endlich ein gemeisames Leben beginnen konnten.

Mein Großonkel Karl - ein Deserteur

Dietmar Wachter - 27. März 2025, 19:11

Cover der Biografie über meinen Großonkel Karl GASSER

Ich bin als Zeitzeuge viel zu jung, habe aber das Leben meines Großonkels Karl GASSER recherchiert und einen Roman (Biografie) verfasst. Er war Deserteur, tauchte während des 2. Weltkrieges unter und hielt sich als Heiratsschwindler, Betrüger und Hochstapler über Wasser. Er schleppte Juden und Nazis gleichfalls. Nach dem Krieg tauchte er unter.

Webseite
https://www.bibliothekderprovinz.at/media/leseprobe/9783991262879_tmp_lsp_web.pdf

Glückliche Heimkehr aus dem Krieg

Dr. Silvia Zenta - 27. März 2025, 18:51

Heimkehr

Im Frühjahr 1945 kehrte mein Vater aus dem Krieg zurück. Teils zu Fuß schlug er sich von Griechenland über den Balkan nach Kärnten durch und wurde von den Engländern interniert. Er bekam das Angebot, sollte er in der englichen Besatzungszone einen Arbeitsplatz erhalten, so käme er aus der englischen Gefangenschaft frei. Bereits vor seiner Einberufung zur Feldeisenbahn hatte mein Vater als Ingenieur bei der Deutschen Reichsbahn in St. Pölten gearbeitet und daher versuchte er die Berufslaufbahn bei den zukünftigen Österr. Bundesbahnen fortzusetzen. So kam mein Vater nach Knittelfeld und half die zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. Knittelfeld war bei Bombenangriffen im Februar 1945 fast zur Hälfte zerstört worden.

Flüchtling aus Znaim

Gunda - 27. März 2025, 17:57

Augusta ist als Flüchtling aus Znaim im Haus meiner Großeltern in Hollabrunn aufgenommen (20.7.1945 bis 8.4.1946), so wie russische Offiziere. Sie schreibt meiner Mutter nach Wien, wo diese gerade studiert. Rund 200 Briefe 1945 - 1957 sind erhalten.

5.3.1946

Liebste Nora!

Wieder einmal befinde ich mich in einer verzweifelten Lage! Mein Antrag um die „Alliierte Ausreisebewilligung“ wurde wegen meiner Parteizugehörigkeit am 1.3. abgelehnt und mir sagen gelassen, ich sollte mich dem großen Abtransport der Flüchtlinge anschließen und dann in der amerikanischen Zone aussteigen und zu meinem Mann fahren. Auf solch abenteuerliche Fahrt kann ich mich nun aber nicht einlassen, wer sagt mir, dass ich über Linz komme und dann auch die Möglichkeit habe, dort irgendwo auszusteigen? So kannst Du Dir meine Lage vorstellen; wieder war ich so knapp am Ziel und nun scheiterte hier wieder alles aus diesem Grunde. Ich war mehr als vernichtet und habe alles dann in schlaflosen Nächten erwogen, was da noch zu machen wäre und kam dann nach Beratungen mit Deinen lb. Angehörigen, ebenso mit Dr. Jilly zu dem Entschluss, die Sache vorderhand ruhen zu lassen und um einen Aufschub zur Aufenthaltsbewilligung für Hollabrunn anzusuchen, damit ich wenigstens noch Zeit gewinne und nicht mit dem Transport wegmuss. Dieses Gesuch wurde nun heute Vormittag beim Bezirkshauptmann abgegeben – ich schilderte meine Krankheit, verwies darauf, dass ich noch weiter in ärztlicher Behandlung bin und dass mir jede Veränderung schaden würde, kurzum alles, wie mir Dr. Jilly geraten hat – und so schwebe ich weiter in großer Sorge, wie nun die Erledigung ausfällt. Zur Ruhe komme ich nur auf keinen Fall eher, als bis ich eine Verlängerung bewilligt habe. Zuerst wollte ich zum russischen Kommandanten gehen und persönlich um die Ausreisebewilligung bitten, dann versuchte ich noch das zuerst, um wenn es nicht gelingen sollte, noch dieses letzte offen zu haben. Das sind aber nun meine allerletzten Möglichkeiten, dann bin ich am Ende; halte mir bitte ganz fest die Daumen!
Dabei bekam ich heute nach 23 Tagen endlich ein Schreiben meines Mannes, in Urfahr aufgegeben, worin er mir mitteilt, dass er – vermutlich infolge den gespannten politischen Atmosphäre Bahn und Post in unserem Gebiet eingestellt! – seit Nr. 13 v. 26.1., keine Post mehr von mir bekommen hat; wir sind also somit ganz außer Kontakt geraten, ich schreibe nachher schon Nr. 24, gab dazwischen 2 Telegramme auf und er bekommt nichts. Der heutige Brief von ihm ist vom 24.2.; dazwischen fehlen 5 Briefe heraus, die vielleicht von Wichtigkeit wären. Also Nora, mehr als trostlos! So sehe ich die allernächste Zukunft mehr als schwarz, denn wenn nun die Post versagt, werde ich zum Schluss auch wieder mit meinem Mann entzweit. Ich habe solche Angst in mir, eine große Unruhe, wie nun entschieden wird! So bescheiden bin ich nach all dem wieder geworden, dass ich also schon mit dem bloßen Bleiben in Hollabrunn sagen wir bis Mai, zufrieden wäre, obwohl ich so gerne schon bei meinem Mann wäre, aber nur nicht mit dem Transport wegmüssen, davor zittere ich! Über mir schwebt nun aber das Schwert des Damokles, ein fürchterliches Gefühl!
So habe ich Dir wieder mein Herz ausgeschüttet; weißt Du einen Rat? Da Frau Gürlich zu Dir geht, übersende ich trotz allem meine Schuhe und 20 Zigaretten. Vielleicht könnte sie mir selbe – bereits besohlt! – wieder mitbringen. Wär es möglich? Denn wenn ich rasch wegmüsste, wer weiß ob ich Gelegenheit hätte, sie bei Dir abzuholen? Ich weiß, Du wirst das möglichste in dieser Sache tun, wenn es nicht so rasch geht, dann bleiben die Schuhe halt bei Dir. Noch habe ich eine Galgenfrist und vielleicht bekomme ich doch einen Aufschub. Gott gebe es!
Neuigkeiten gibt es außer der einen, dass der Oberleutnant ohne Verabschiedung!! gestern Abend ins neue Quartier auf Nr. 20 übersiedelte, keine. Ich bin diesmal auch so nicht in Stimmung; aber danke ich Dir noch für die Besorgungen, die Du für mich machtest und bitte besorge das noch mit den Schuhen. Sobald ich die Erledigung habe, verständige ich Dich. Bis dahin liebste Nora, recht herzliche Grüße von
Deiner Gustl.

Flucht nach Tirol

Flucht nach Tirol - 27. März 2025, 14:53

Meine Mutter flüchtet mit zwei Freundinnen vor den Sowjets nach Tirol

Flucht aus Wien vor den sowjetischen Truppen nach Tirol

In meiner Kindheit habe ich oft die Geschichte meiner Mutter gehört, wie sie mit zwei Freundinnen kurz vor Kriegsende vor den sowjetischen Truppen aus Wien geflüchtet sind. Mit dem Fahrrad, meine Mutter Hedi mit dem alten Steyr Waffenrad ihres Vaters, die Fuchspelzstola meiner Großmutter um den Hals. Sie und ihre beste Freundin Annemarie waren Jahrgang 1924, Annemarie Schwester Joschi etwas jünger.

Als sie bei Mauthausen vorbeikamen, sahen sie einen Zug Häftlinge in gestreiften Anzügen. Erschrocken fragten sie bei einer Bäuerin nach, wohin diese ausgemergelten Gestalten unterwegs waren.“ Die gehen ins Gas " war die Antwort. Meine Mutter hat mir glaubhaft versichert, dass dies das erste Mal war, dass sie und ihre Freundinnen von den grauenhaften Vorgängen in den KZs erfahren haben. Man wusste wohl, dass es Konzentrationslager gab, aber man dachte, es seien Straflager für Kriminelle . Die Bewohner der Umgebung eines KZ wussten anscheinend die Wahrheit.

Die Mädel kamen nach Kitzbühel, das von Flüchtlingen völlig überlaufen war. Niemand wollte sie aufnehmen, sie mussten in ein Seitental Richtung Kirchberg ausweichen. Auf einem Bergbauerhof hat man sie schließlich aufgenommen, wir haben in meiner Volksschulzeit auch einen Sommerurlaub dort verbracht. Die „Mam“ , die Bäuerin, hat damals noch gelebt. Meine Mutter hat bis zu deren Tod den Kontakt gehalten.

Sie haben für ihren Aufenthalt bezahlt und mussten sich auch ihr Essen selbst organisieren. Meine Mutter war im Arbeitsdienst auf einem Bauernhof in Griffen in Kärnten, also kam sie auf die Idee, von dort Erdäpfel zu holen. Sie fuhr also mit dem Zug, der auf offener Strecke von Flugzeugen beschossen wurde, während die Passagiere in der Umgebung Deckung suchen mussten, nach Kärnten und kam mit einem Sack Erdäpfel zurück. Sie meinte später dazu, dass es eine lebensgefährliche Aktion gewesen sei, und dass ihr heute so etwas nicht mehr einfallen würde.

Nach der Kapitulation hörten sie, dass sich in der Nähe ein Trupp Soldaten auflöse und sie ihre Ausrüstung verschenken würden. Meine Mutter und Joschi gingen hin und bekamen ein halbes Kalb und Decken. Die Soldaten tauschten von den Bauern Zivilkleidung ein um sich nach Hause abzusetzen. Es dürfte sich um Waffen SS gehandelt haben da meine Mutter etwas von Tätowierungen erzählte.

Im Herbst 1945 kamen sie zurück nach Wien .

Marianne Hruschka geb.1959

Zurück in die alte Heimat

Renate Scherr - 27. März 2025, 12:01

Aus den Aufzeichnungen meiner Mutter Renate Scherr, née Wagner, 1927-2021.
Nach der Flucht aus einem kath. Erziehungsheim bei Laupheim und die Rückkehr in die "Heimat".

-- Kriegsende --
Eines Tages wurden wir Österreicher zusammen-getrommelt und ab nach Hause geschickt. Ich hatte den Eindruck, in einem Viehwaggon zu sitzen. Es war so ein komisches, bläulich gleißendes Licht. Ich weiß nicht mehr, wie man das nannte.

Wir Österreicher wurden zusammengetrommelt und mit dem Zug nach Hause geschickt. Wie ich mich darüber freute!
In der Heimat angekommen, gab es keine Begrüßung für mich, nur Enttäuschungen am laufenden Band.
Zu Hause in Knappenberg hat mich meine Stiefmutter erst einmal fragend angeschaut und sagte dann: „Was willst Du hier? Das ist nicht mehr Dein Zuhause! Ich bin von Deinem Vater geschieden. Du kannst eine Nacht hier schlafen, aber morgen musst du verschwinden!“ Ich wusste nicht, wie und was mit mir geschah. Ich ging am nächsten Tag zum Bahnhof nach Hüttenberg und kaufte mir eine Fahrkarte nach Unzmarkt. Koffer und Habseligkeiten hatte ich mit. Vor Unzmarkt löste ich vor Verzweiflung die Sicherheitsstange am Ausstieg und ließ mich fallen.
Ich hatte wohl einen immens guten Schutzengel oder 100, ansonsten wäre alles anders gekommen. Denn ich bin zwischen die Geleise gefallen. Wäre es anders gewesen, wäre der Gegenzug über mich hinweggebraust und von mir wäre wohl nichts geblieben. Doch der Gegenzugsführer hat mich liegen gesehen und alles veranlasst, mich am Leben zu erhalten. Ich kam nach Friesach in Spital, wo mir geholfen wurde und ich gesund gepflegt wurde.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus machte ich mich auf die Suche nach meinem Vater. Die Bergarbeiter waren von Knappenberg nach Köflach in der Steiermark überstellt worden - auch Bergbau, aber Kohle - und durften turnusweise alle sechs Wochen nach Hause fahren. Ich suchte ihn im Burschenhaus in Pichling, aber er lebte mit einer Frau in Köflach Ostsiedlung zusammen.
Diese Frau war über mich nicht erfreut. Mein Vater eröffnete mir, dass ich nicht bleiben könne: „Denn wir haben keinen Platz für Dich, denn wir gehen alle beide arbeiten.“ So stand ich wieder vor 6 Uhr früh auf der Straße. Ohne Geld und Bleibe. Vor einem Scherbenhaufen meines Lebens und dachte mir …., aber ich sagte dazu NEIN, das mache ich nie mehr. Ich wollte meine Schutzengel nicht enttäuschen.
Da sprach mich ein junger Bursche auf meinen Gemütszustand an, und ich erzählte ihm, was mir passiert war. Er wohnte nur einige Straßen weiter von meinem Vater. Ich tat dem Jungen leid, und er nahm ich mit zu seinen Eltern, die mir kostenlos Unterkunft gewährten.
Ich war dann immer auf dem Kohlensturz im Karlschacht beim Kohlenklauben zu finden. Privatpersonen war das erlaubt. Ich stand im Oktober knietief im Schlamm, wo ich die Kohlentrümmer herausholte und freute mich, dass ich Geld verdienen konnte.
Doch weit gefehlt! Ich hatte zwei Lastwagen Kohle zusammen, welche der gute Junge verschacherte. Die Kohle in Graz. Um gutes Geld, und ich ging leer aus.
In dieser Zeit kam ein junger Mann auf mich zu und sagte zu mir: „Du bist so fleißig, wir sollten uns zusammentun.“ Er wohnte in der Nähe meines Vaters in der Ostsiedlung. Er hatte ein kleines Zimmerchen bei seinem Vater und seiner Stiefmutter, die nicht erbaut davon war, mich dabei zu haben.
Damals gab es Lebensmittelkarten. Sie kaufte für die ganze Woche die Karten leer. Ich kochte Bohnen ohne Fett und anderes. Und wurde in der ganzen Siedlung ausgerichtet, dass ich nicht kochen könne.
Wir bekamen zwei Söhne, den Kurt und den Gerald. Mein Mann verdiente in der Braunkohlegrube ca. 300 Schilling, aber wir mussten oft Vorschuss nehmen, da es hinten und vorne nicht langte. Ich weiß bis heute nicht mehr, wie und mit was ich die Kinder versorgte.
Sein Vater zog dann aus, eine andere Familie ein, die uns öfter mit Essen versorgte. Die waren sehr lieb zu uns. Wir wohnten vier Personen in einem 3 x 2 m großen Raum, zwei Kinder im Gitterbett und wir zwei in einem Bett, ein kleiner Tisch, ein kleiner Sparherd. Das war unsere Welt. Das Klo im Parterre, und das Wasser musste ich vom Keller holen.
Ich hoffte immer auf bessere Zeiten. Und die kamen. In Gestalt eines etwas jüngeren Mannes, in den ich mich sofort verknallte. Er war Grubenelektriker und sehr tüchtig. Auch musste er heraußen bei Wind und Wetter auf die Masten kraxeln.
Seine Frau Mutter hat ihn immer mit Essen versorgt. So gut, dass er es mir und meinen Kindern gab. Mein damaliger Mann war so vertrauensselig, dass er mir vieles erlaubte. Dieser Junge brachte mir das Schwimmen bei, und ich durfte mit ihm tanzen gehen und so weiter.
Es kam wie es kommen musste, wir ließen uns scheiden. Der Fünfjährige wollte bei seinem Vater bleiben, der Vierjährige bei mir / uns. Und hat es nie bereut, denn er hatte einen sehr guten Stiefvater. Von dem er viel gelernt hat und respektiert wurde und geliebt.
Heute weiß ich, warum ich die Freiheiten hatte, Schwimmen, Tanzen und Ausflüge. Ich zog von der Ostsiedlung weg und von meinem Mann, und meine Nachfolgerin zog in das kleine Quartier ein. Er wurde mit ihr sehr glücklich, bekamen größere Wohnung und zwei liebe Mädels. Leider sind ihre Eltern schon lange unter der Erde.
Ich hatte auch Glück. Ich bekam den besten, gütigsten und einen sehr gescheiten Mann für 59 Jahre.
Doch auch er hatte in seiner Firma viel mit Unannehmlichkeiten und Widerwärtigkeiten zu kämpfen. Da diese Firma einer bestimmten Fraktion angehörte, mein Mann aber nicht und dementsprechend auch zu keiner Versammlung erschien, war er wohl trotz seiner Tüchtigkeit nicht tragbar. Denn wir hatten kein Parteibuch.
Das übertrug sich auch auf mich. Ich bekam Arbeit in der Glasfabrik in Köflach, war in der Verpackung tätig. Der Meister war sehr zufrieden, ich hatte gute Arbeit gemacht. Doch nur ganze zweimal zwei bis drei Stunden. Dann kam der Meister mit großem Bedauern, sagte mir, er müsse mich nach Hause schicken, da ich krank sei.
Die Mühlen mahlten damals sehr, sehr schnell, denn man wusste im Betrieb meines Mannes schon, dass man mich aufgenommen hatte. Da hatte 100% der Werksarzt die Hand im Spiel. Ich ließ mich in Graz untersuchen. Ich war gesund, Gott sei Dank.

-- Gradenberg (1955) --
Sind von Lankowitz übersiedelt nach Gradenberg. Ein Paradies für Kinder zum Spielen. Mein Sohnemann war begeistert, ein Fluderwasser und eine schöne Gegend. Doch leider war ich mancher Frau ein Dorn im Auge, denn ich war meiner Zeit ein wenig voraus. War die einzige junge Frau mit kurzen heißen Höschen und Stiefelchen. Ich war sozusagen fehl am Platz in dieser Ortschaft.
Ich bekam einen Gerichtsbrief wegen unzüchtigen Verhaltens. Begründung: Ich sei am Fenster gesessen und habe den Kindern meine Genitalien gezeigt. Doch der Richter durchschaute diese perverse Anschuldigung und forderte besagte Zeugen auf, zu zeigen, wie ich es gemacht habe. Doch siehe da, die konnte es nicht. Aber man wollte halt mir damit eins auswischen. Und so ging diese Sache für mich glimpflich aus.
Doch das war nicht alles, denn im Haus wohnte ein gewichtiger Mann - in jeder Weise - und guter Freund der besagten „Zeugin“. Als er mich im Stiegenhaus allein antraf, gab er mir einen Stoß, sodass ich zu Boden ging und hat dann nach mir getreten - im Beisein eines Freundes von ihm.
Es kam zur Gerichtsverhandlung und vorher habe ich diesen Freund gebeten, die Wahrheit zu sagen, wie es wirklich war. Er hat es tatsächlich getan. Mein kleiner Sohn musste allerdings dafür büßen, denn immer, wenn was passierte, war es unser Bub, auch wenn er gar nicht daheim war.

Es war zum Aus-der-Haut-fahren! Was hilft es, in einer schönen Gegend zu wohnen, wenn Menschen so grausam sind. Wir zogen aus, nach Pichling bei Köflach zu einem Bauern. Wir brauchten keine Miete zu zahlen, dafür mussten wir am Feld arbeiten, überall helfen. Es war sehr anstrengend. Unsere winzige Wohnung befand sich über dem Saustall. Das Wasser musste ich im Vorraum vom Haupthaus holen.
Dort wartete schon eine Familie mit Kind auf die Wohnung von uns und das Kesseltreiben gegen uns fing an. Ich war im Krankenhaus und hatte eine schwere Operation und konnte nicht arbeiten. Die andere Frau hatte eine drei oder vier Jahre alte Tochter, die wenn sie mich sah, zu schreien begann „Hilfe, Hilfe, die Tote kommt!“, weil ich beinahe gestorben wäre.
Mein Mann hatte ein Moped, in welches Zucker in den Tank geschüttet wurde, aber in der Dunkelheit auch daneben verstreut wurde.
Als mich die "Passerfamilie" in die Enge trieb, ergriff unser Bub ein Katzenteller und warf es wie eine Flugscheibe gegen den Mann und traf ihn am Daumen.

-- Käseräuber --
Ich schaute zufällig beim Fenster hinaus und bemerkte den Vater des Kindes, wie er sich an einem Obstbaum zu schaffen machte. Glaubte, er verrichte eine kleine Notdurft. Doch weit gefehlt. Er legte uns ein Ei. Anzeige war vorprogrammiert.
Gendarm kam, wir hätten den Obstbaum beschädigt. Mein Mann und Sohn kamen am Abend mit Moped heim und wurden mit Rufen belegt, als Käseräuber beschimpft. Wussten beide nicht, wie ihnen geschah. Angeblich um 10 dekagramm Käse. Wieder Gerichtsverhandlung. Wobei der Bauer und der Wohnungspasser ohne zu zögern einen Meineid schworen.
Der kleine Bub musste auch zu Gericht. Er ist heute ((Anmerkung: 2014)) 64 Jahre alt und spricht noch immer von dieser Ungerechtigkeit.
Als die beiden ihre Hände zum Meineid erhoben, fragte mein Sohn „Wo ist der liebe Gott?“. Das konnten wir ihm leider nicht sagen. Es war, als ob er auf uns vergessen hätte.

Manchmal denke ich, was für Zeiten, die ich hatte. Von Liebe keine Spur. Aber dafür Hiebe. Egal, ob es um Schule ging oder sonst was.

Ich hatte trotz der vielen Widrigkeiten doch Glück im Leben gehabt. Drei gesunde Kinder, zwei Buben und ein Mädchen und 60 Jahre einen netten Mann an meiner Seite und auch liebe Enkel und Urenkel. Und vor allen Dingen eine höhere Gewalt ist mir beigestanden in den schlimmsten Zeiten und hat mich alt werden lassen. Bin fast 90 Jahre jung und liebe das Leben.