1967 - Die Wende

Von: ros23 | 17. April 2017, 17:01

Mit dem Erwerb der ersten elektrischen Nähmaschine 1967 brach für mich ein neues Näh-Zeitalter an.

Während meiner Kindergartentage stand unsere Pfaff Nähmaschine in meinem Zimmer, gleich hinter meinem Bett. Wollte man damit nähen, musste man die Flügel des Möbels, in das sie eingebaut war, öffnen, die Nähmaschine herausklappen und fixieren. Dann stand sie auf dem Tisch, schwarz-golden glänzend, Star meines Zimmers. Wie liebte ich es, wenn sich meine Mutter mit einer Näharbeit dazusetzte und mit ihren Füßen das gusseiserne Pedal trat, wenn sich oben die Nadel Stich für Stich durch den Stoff fraß und eine gestrichelte Spur hinter sich herzog.
Später, als ich größer war und mit meinen Füßen das Pedal erreichte, durfte auch ich auf der Maschine nähen, meine Puppen bekamen phantasievolle Outfits, während meine Mutter uns Kindern weiterhin Blusen und Röcke, Sommerkleider und Schihosen anfertigte.
Es war im Jahr 1967, als meine Mutter und ich uns ins Nähmaschinengeschäft unserer Stadt aufmachten und uns verschiedene elektrische Modelle vorführen ließen. Wir entschieden uns für eine Bernina in zartem Gelbgrün und bekamen gleich eine Einführung in ihre Geheimnisse. Mir blieb der Mund offen stehen, es war unglaublich, was diese Maschine alles konnte! Sie nähte nicht nur vor, sondern auch zurück und schaffte spielend Zickzackstiche in verschiedenen Längen und Breiten… Man konnte Nähfüße abmontieren, neue einsetzen und damit Zippverschlüsse an Kleidungsstücke nähen, Knopflöcher anfertigen, Knöpfe aufnähen oder Zierstiche in vielen Variationen herunterrattern. Sogar die Zähnchen für den Weitertransport des Stoffes ließen sich versenken, sodass man den Stoff dann selber beliebig hin- und herschieben konnte… Ein Quantensprung!
Zu Hause saß ich tagelang an der neuen Bernina und probierte alles aus. Bald war ich Expertin und gab mein Wissen stolz an meine Mutter weiter, die viele Einzelheiten schon wieder vergessen hatte. Mit dieser Nähmaschine begann auch ich, mir einfache Kleidungsstücke zu nähen. Eine neue Welt hatte sich aufgetan!
Das Nähen begleitet mich noch heute. Als Textilkünstlerin entwerfe und nähe ich Patchworkarbeiten und Quilts, beteilige mich an Ausstellungen im In- und Ausland und gebe mein Wissen in Kursen und Workshops weiter. Andere elektrische Nähmaschinen sind dieser ersten gefolgt, ich selbst besitze inzwischen mehrere davon. Die Bernina meiner Mutter gibt es immer noch, sie kommt zwar schon ein wenig altmodisch daher, arbeitet aber verlässlicher als manche modernen Maschinen. Nur die alte Pfaff steht heute vergessen im Abstellraum unseres Großelternhauses und setzt Staub an.

Übersicht:
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