1967 - Jahr der Begegnungen

Von: grunzo | 31. März 2017, 11:32

Eine Erinnerung an eine wesentliche LP

Selten in der kurzen Zeit eines Jahres habe ich so viele faszinierende Menschen getroffen, wie in diesem fantastischen Jahr 1967. Gleich am Eingangsportal, bunt und wild bevölkert, traf ich Oskar Wilde und Marilyn Monroe, Oliver Hardy und Karl Marx, Albert Einstein und Aldous Huxley, Dylan Thomas und Johnny Weißmüller und und und…….Aber all diese teilweise bunten und teilweise farblosen Gesichter starrten mich nur an, ohne mit mir zu reden. Marlene Dietrich blickte in einer seltsamen Erwartungshaltung aus einem gelbseidenen Hosenanzug zu mir rüber, Alastair Crowley versuchte mich zu hypnotisieren, Dr. Livingstone starrte unverwandt in etwas, das er unmöglich einen afrikanischen Himmel nennen konnte. Doch ich ließ die schweigende Schar hinter mir.
Plötzliche Stille. Nur von einem leisen Gekratze unterbrochen. Natürlich werde ich die Show genießen. Und dann traf ich Billy Shears. Er eröffnete mir, gänzlich ohne Larmoyanz und eher trocken, nicht besonders bewegt, wie wichtig es sei gute Freunde zu haben. Aber das habe ich mir so ähnlich schon gedacht. Doch dann begegnete mir Lucinda McRainbow. Und das war, was eigentlich? Das gegenteil von ernüchternd?. Ich saß in einem leise dahingleitenden Ruderboot auf dem Doone River, Ye Banks and Braes oh Bonny Doone, wollte gerade ein Selfie mit mir, dem Fluss und blühendem Ginster machen, als ihr rosa - violtett, nein lila - himmelblaues, momentmal lindgrün - zitronenfaltergelbes,??? - eigenartig das Boot, in dem sie saß, wechselte dauernd die Farben. Fasziniert starrte ich hinüber und ich weiß nicht wie, plötzlich verwandelten sich die Ufer des Doone in verpackte Cellophanufer, als wären die Bäume, Sträuche und Blumen in ein gigantisches Blumenarrangement von "The British Garden" verwandelt, oder bloß von Lewis Carrol erfunden. Ich sah noch, wie sich die Farbenvielfalt der untergehenden Sonne als Reflexe des Wassers in den geweiteten Augen von Lucinda McRainbow spiegelten, dann trieb ich weiter. Doch eine leise Ahnung in mir, flüsterte, es könne ja nur besser werden. Und dann traf ich den "Lochmann". Keine Ahnung, wie er wirklich hieß, keine Ahnung, ob es durch ihn wirklich besser werden würde, obwohl schon etwas dran ist, wenn da einer im Lotussitz im strömenden Regen sitzt und den Gully anstarrt. Es hatte durchaus etwas Kontemplatives, aber sicher war ich mir nicht. Dann trat ich durch eine Türe, deren Ritzen gerade verspachtelt worden waren und stand auf einer dieser endlos langen Suburb Roads, die aussehen, als stünde man zwischen zwei Spiegeln und sähe in beiden Spiegeln ein Objekt ins Unendliche gespiegelt. Ich hatte so etwas schon einmal in einem Monty Python Film gesehen. Lauter graubraune, völlig gleich aussehende einstöckige Reihenhäuser, mit jeweils einer dreistufigen Treppe, die von abblätternden Türen zum grauschwarzen Trottoir führten. Ein älteres Paar stand in einem offenen Eingang. Er strich sich über die Halbglatze, sie weinte leise und unaufhörlich. Ihre Blicke waren auf das Fadenkreuz zwischen Horizontlinie und der sich ins Indifferente verlierenden Straße fixiert. Ganz kurz gegen den grauen Hintergrund vermeinte ich noch eine ferne, sich in den Hüften wiegende, schlanke Gestalt zu erkennen, aber das war vermutlich ein Trugbild.
Ich bog bald rechts ab und stand in einem Vorstadtszenario von beifußumrankten Planken, alten Wohnwägen und in der Mitte, ein alter Pitch - sicher immer nur von Halbwüchsigen zum Fußballspiel genutzt. Doch heute schien das anders zu sein. Über dem buckligen Fußballfeld spannte sich ein rot gelbes Zelt, ein Zirkus - und die alten Wohnwägen gehörten natürlich dazu! Ich trat an einen bärtigen Gentlemen heran, der in einer rotgelben Zirkusuniform etwas fast Militärisches ausstrahlte. Knapp stellte ich mich als Mr. Blanque vor. Er antwortete ebenfalls kurz, fast abgehackt, ganz wie ein Hauptmann: Kite! Nett, sie zu treffen. Halten sie hier heute eine Vorstellung ab, gab ich eher unterwürfig von mir. Ja, Sir. Und es ist die Letzte. Morgen, samstags, müssten sie schon in Bishopsgate spielen. Dort sei doch alles so verbaut, wo können man denn einen Zirkus aufstellen, wollte ich wissen. Eben, es handelt sich auch um ein verkürztes Programm, sie müssen uns schon heute besuchen, wenn sie alles sehen wollen. OK, oK gab ich ihm eine vorläufige Bereitschaft meinerseits zu verstehen. Was denn die Highlights ihrer Vorstellung seien? Kite antwortete sofort, er, natürlich. Als ehemaliger Staatsmeister am Trampolin springe er fast bis an die Zirkusdecke, doch da seien noch die grandiosen Hendersons, Tänzer von Gottes Gnaden. Doch der Star des Abends, der Publikumsliebling, das sei Henry, ein weißer Hengst, der das Auditorium zu Begeisterungsstürmen enflammiere. Übrigens sei er von Geburt Franzose, so wie sein ehrenwertes Gegenüber - er meinte mich - und man könne diesen Namen Henry durchaus auch französisch aussprechen, so wie Henry Quatorze oder den 15., den 16. - ich wisse doch, er meine es nicht anzüglich. Nun gut, ich kaufte ihm eine Karte für den heutigen Abend, 19 Uhr, ab, doch es war erst genau 11h am.
Aus einem Shop in Camden Town drang der Rauch von Räucherstäbchen. Eine große Leere befiel mich. Des nächsten Herz bedeutet Unerreichbarkeit. Aber nein. Da, in dem kleinen Park saßen inmitten eines abgelatschten Wiesenstücks ein paar Senioren und spielten Schach und Schwarze Johanna auf einigen wenigen eng zusammenstehenden Bänken. Ein kleiner, drahtiger Schnauzbart erspähte mich und lud mich auf einen Drink ein. Gordon sei eben 64 Jahre alt geworden. Drei Kinder kamen angelaufen. Eines hatte ein kleines Geschenkpaket in der Hand. Die kleine Vera, ein brauner Ponykopf, gratulierte dem Großvater verschmitzt, während die zwei Hosenmatze, Chuck und Dave verstohlen versuchten, sich ein paar Shortbreads vom hohen Tisch zu grapschen. Jemand grüßte laut und übertrieben "Guten Morgen". Irgendwie schwang da sogar ein Kikereki mit. Weder passend noch lustig. Aber es war oK. Dann hörte ich das zweitemal eine Blasmusik, die von einem Oberwachtmeister mit knappen Gesten dirigiert wurde, bevor ich in die Stille der Guildhall Library eintrat. Ich war in Londons Zentrum angekommen. Mein leichtes Schnaufeb besorgt unterdrückend setzte ich mich an einen der runden Lesetische und schlug den "Guardian" auf, den ich mir vom Zeitungsständer geholt hatte. Tara Browne war mit 160 km/h die nicht gerade breite Earls Court Road hinabgedonnert und gegen einen Truck gekracht. Sein Vater Dominick Brown, der vierte Baron von Oranmore und seine Mutter Oonagh Guiness, die jüngste der drei "Golden Guiness Girls" nahmen die Meldung in gefasster Trauer entgegen. Eine Filmkritik zerriss einen Antikriegsfilm und in Blackburn, Lancashire stellte man 4000 Löcher in den Straßen der Stadt fest. Irgendein kurzsichtiger Spaßvogel wollte den Leuten weißmachen, dass diese 4000 Löcher alle und zwar genau alle in die Royal Albert Hall hineinpassen würden. Ha, ha, ha.
Na, ja ein gewöhnlicher Tag im Leben, halt.

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