Hunderte Flüchtlinge bei Lampedusa-Überfahrt gestorben

Bootsdrama: NATO in Erklärungsnot

Italien wird von einem neuen Flüchtlingsdrama erschüttert. Etwa 100 Migranten sind bei der Überfahrt Richtung Lampedusa verhungert und verdurstet. Das Boot mit den rund 400 Flüchtlingen trieb eine Woche lang auf offener See. Ein NATO-Schiff, das sich in der Nähe aufhielt, soll Hilfeansuchen ignoriert haben.

Abendjournal, 5.8.2011

Mathilde Schwabeneder
aus Italien

Leichen über Board geworfen

Überlebende eines vor der libyschen Küste havarierten Bootes berichten von dem grauenvollen Tod von Frauen und Kindern, die auf See an Hunger, Durst und Entkräftung gestorben seien. Die Männer an Bord sollen nach Berichten der Überlebenden gezwungen gewesen sein, die Leichen der etwa 100 Toten während der Fahrt über Bord zu werfen.

Boot trieb führerlos am offenen Meer

Das Boot war von der Küste Libyens in Richtung Lampedusa unterwegs. Nach einiger Zeit dürfte der Motor ausgefallen sein, die Flüchtlinge mussten ohne Hilfe tagelang auf offener See ausharren. Und das, obwohl laut italienischen Medienberichten ein Frachtschiff aus Zypern das Boot entdeckt und ein rund 25 Meilen entferntes NATO-Schiff um Hilfe für die Flüchtlinge gebeten habe.

NATO soll Hilferuf ignoriert haben

Das NATO-Schiff soll auf den Appell des Frachtschiffes nicht reagiert und keine Hilfe geleistet haben. Der italienische Außenminister Franco Frattini forderte eine Untersuchung, um festzustellen, ob der Hilferuf tatsächlich ignoriert wurde. Italien wolle zudem Druck auf die NATO ausüben, damit das Mandat für die Mission in Libyen auch auf Hilfsaktionen zugunsten von Flüchtlingen im Meer ausgedehnt werde, heißt es in Rom.

Tausende wählen gefährliche Seeroute

Seit Jänner wählten 43.000 Immigranten die als extrem gefährlich geltende Mittelmeerroute, um Italien und damit Europa zu erreichen. Oft sind die Boote wenig seetauglich, fast immer völlig überladen. Viele der Afrikaner können zudem nicht schwimmen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration sind seit Februar mehr als 20.000 Menschen von Tunesien und 13.000 von Libyen aus über das Meer zu ihrer gefährlichen Fahrt in Richtung Lampedusa aufgebrochen.