Van der Bellen blickt zurück

Der ehemalige Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, wechselt nach 18 Jahren im Hohen Haus in den Wiener Gemeinderat. Er will damit, wie er sagt, den Makel beseitigen, dass er vor eineinhalb Jahren bei der Wien-Wahl die knapp 12.000 Vorzugsstimmen ignoriert hat. Rückblickend meint Van der Bellen im Ö1 Interview, das es früher mehr Persönlichkeiten in der Politik gegeben habe.

Mittagsjournal, 4.7.2012

Alexander Van der Bellen im Gespräch mit Monika Feldner-Zimmermann

Keine realen Alternativen zu ESM

Warum die Grünen beim permanenten europäischen Rettungsschirm ESM zustimmen, ist für Van der Bellen eine Frage der Alternativen. Und da gebe es eben keine andere, die politisch durchführbar wäre. In der Verhandlungen hätten die grünen Vertreter herausgeholt, was herauszuholen war, widerspricht Van der Bellen Kritikern aus den Reihen der Wiener Grünen.

"Fundi" war einmal

Auf die Vorwürfe von FPÖ und BZÖ, die Grünen seien mit ihrem Ja zu Regierungsvorlagen wie ESM, Transparenzpaket und Diplomatenpässe zu Steigbügelhalteren geworden, reagiert Van der Bellen mit Unverständnis: Wenn bei Verhandlungen etwas Vernünftiges herauskomme, stimme man eben dafür, wenn nicht, dann dagegen. Im Rückblick betrachtet meint der ehemalige Bundessprecher, die Grünen hätten sich von einer Fundi-Opposition entwickelt zu einer Partei, die mehr auf die Inhalte schaue.

Zu wenige "Persönlichkeiten"

Gefragt nach seiner Bilanz von 18 Jahren Parlamentstätigkeit meint Van der Bellen, er habe den Eindruck, die Persönlichkeiten seien früher "dichter gesät" gewesen, in allen Fraktionen. "Das beunruhigt mich, denn wenn diese Diagnose stimmte, dann hieße das, dass wir alle Rekrutierungsprobleme haben. Und dass das mit Wahlrechtsänderungen so leicht behebbar ist, das bezweifle ich."

Bildungsvision für Wien

Er scheide mit Wehmut aus dem Parlament, gibt Van der Bellen zu, er tröste sich aber damit, dass das Rathaus neu und interessant sei - und die Grünen eine Regierungsfraktion. Sein Vorhaben für den Gemeinderat: Zwar müsse er formal die Funktion des Universitätsbeauftragten abgeben, aber Wien brauche eine Vision für die Jahre 2020 bis 2030: "Wir wollen die Greater Boston Area von Mitteleuropa sein. Jeder muss wissen, das ist die Konzentration von Humankapital, die es weit und breit gibt - das finde ich interessant." Obwohl Unis Bundessache seien, könne man da einiges unternehmen, wie etwa in der Visa-Politik für Studierende und Forscher aus Drittstaaten, oder durch Einladungen zu Runden Tischen zu bestimmten Themen.

Übrigens: Alexander Van der Bellen ist seit drei Wochen Nichtraucher - und will es auch im Wiener Gemeinderat weiter bleiben.