Vernachlässigt in Haft: Konzepte für Reformen

Nach dem Fall von schwerer Vernachlässigung eines Häftlings in Stein will Justizminister Wolfgang Brandstetter "eine Reform, die an der Wurzel ansetzt", starten. Experten haben bereits Konzepte parat: Sie wünschen sich mehr Betreuung der Betroffenen in Spitälern, Heimen und auch ambulante Betreuung. Und die Gerichtsgutachten über die Gefährlichkeit von Häftlingen müssten besser und genauer werden als bisher.

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(c) dpa/Patrick Seeger

Mittagsjournal, 22.5.2014

Viele zu Unrecht interniert

Es gibt in Österreich tatsächlich eine hohe Zahl an Menschen im Maßnahmenvollzug, die zu Unrecht in Unfreiheit sind, formuliert der Gerichtspsychiater Reinhard Haller: "Man sagt halt in der Gesellschaft, man darf kein Risiko eingehen, im Zweifelsfall muss man wegsperren. Was zur Folge hat, dass viele Menschen untergebracht werden, die im Prinzip nicht gefährlich sind." Aus verschiedenen internationalen Untersuchungen wisse man, dass mindestens 50 Prozent zu Unrecht interniert seien.

Reformvorschläge

Hallers Lösungsansatz Nummer eins sind die Gerichtsgutachten. Die müssten "treffsicherer" sein und die "wirklich Gefährlichen" psychisch gestörten Leute herausfiltern. Und andererseits müsste man "den Mut haben", die Menschen rechtzeitig zu entlassen. Es dürfe niemand wegen eines relativ leichten Deliktes viele Jahre über die eigentliche Strafe hinaus untergebracht bleibt.

Lösungsansatz Nummer zwei setzt bei einer Reform vor 24 Jahren an. Seit damals, sagt Haller, dürfen psychisch Kranke in geschlossenen Spitalsabteilung nur angehalten und betreut werden, solange sie akut gefährlich oder selbstgefährdend sind. Haller: "Die Menschen werden in der Regel schon nach wenigen Tagen entlassen, wenn die akute Gefährlichkeit vorbei ist. Aber sie sind trotzdem eine potenzielle Gefahr. Die werden dann umgeleitet in die Justiz", in dem bei einem neuen Vorfall sofort Anzeige erstattet werde, statt eine Behandlung einzuleiten. Hier könnte in der Gesetzgebung für die Psychiatrie also ein Schritt zurück gemacht werden, mit heftigen Diskussionen wäre aber wohl zu rechnen.

Der Lösungsansatz drei existiert eigentlich schon. Häftlinge, die ihre Strafe abgesessen haben, aber noch im Maßnahmenvollzug im Gefängnis sitzen, können bedingt vorzeitig entlassen werden. Sie werden dann etwa in Einrichtungen von "Pro Mente Plus" betreut. Aber oft scheitern solche Projekte am politischen Widerstand der Bevölkerung mit dem Argument des Sicherhetisrisikos - zuletzt etwa in Niederösterreich, sagt "Pro Mente"-Geschäftsführer Christian Rachbauer.

Justiz in der Pflicht

Dabei seien die Erfahrungen mit der Nachbetreuung etwa in Heimen gut: Dort habe man in Projekten in verschiedenen Bundesländern binnen zehn Jahren bereits 1.500 Menschen betreut - ohne Rückfälle, so Rachbauer, der aber nicht bagatellisieren will, wie er sagt.

Übrigens: Im Verwahrlosungsfall um den 74-Jährigen Häftling aus Stein mit den geradezu verfaulenden Füßen gibt eine bemerkenswerte Aussage von ihm selbst. Er hat gegenüber Ermittlern gemeint, er habe die Situation und seinen Verband verheimlicht, die Justizwachebeamten, Ärzte und Pfleger treffe keine Schuld. Aus dem Minsiterium heißt es aber, das enthebe die Justiz nicht der Verantwortung. Mit anderen Worten: Der Zustand des Mannes hätte im Gefängnis trotzdem früher auffallen und behandelt werden müssen.