Mann mit Turban blickt auf Müllhalde

LOTUS FILM

Film

"Untitled" eröffnet Diagonale

In Dokumentarfilmen wie "Megacities", "Workingman's Death" und "Whores Glory" war der österreichische Regisseur Michael Glawogger stets ein neugieriger Reisender, der sich an entlegene Orte dieser Welt begab. Auch für seinen Film "Untitled" zog es ihn in die Ferne, um ohne vorgefertigtes Konzept möglichst authentische Momentaufnahmen einzufangen.

Buben schauen aus dem Zug

LOTUS FILM

Auf dieser Drehreise verstarb der Filmemacher 2014 aber in Liberia an einer Malariainfektion. Nun hat Glawoggers langjährige Cutterin Monika Willi aus dem bereits vorhandenen Material einen Film fertiggestellt, der heute Abend das Filmfestival Diagonale in Graz eröffnet.

Mittagsjournal, 28.3.2017

Die Ziellosigkeit als Ziel, das Sich-treiben-Lassen als künstlerisches Moment, die einfache Beobachtung, das unmittelbare Erleben von Dingen als ungefilterte Wirklichkeit auf die Leinwand bringen. Mit diesem Anspruch ist der österreichische Regisseur Michael Glawogger im Dezember 2013 zu einer längeren Reise aufgebrochen, sein "ultimatives Projekt zum Thema Bewegung und Reisen", wie Glawogger im Film meint.

Vom Balkan bis zum Senegal, von Süditalien bis Sierra Leone. Es hätte eine einjährige Reise um die Welt werden sollen, doch eine Malariaerkrankung in Afrika verlief für Glawogger tödlich. Nun hat seine langjährige Cutterin Monika Willi, der der Regisseur von unterwegs schon mehrfach Rohmaterial geschickt hatte aus rund 70 Stunden Bildern einen Film montiert. Freilich stellten die tragischen Ereignisse für Willi eine gewisse Bürde dar: "Mir war vor allem wichtig, dass ich es freudvoll und nicht zu verkrampft mache, also nicht nach dem Motto 'Hätte der Michi das so gemacht?'", so Monika Willi.

"Kriegsnarben auf Häusern"

Ein junger Afrikaner wird verprügelt, minutenlang mit gnadenloser Brutalität, auf einer Müllhalde in Afrika streiten sich Ziegen und Menschen um Abfälle, in Freetown in Sierra Leone pulsiert das Straßenleben bei Nacht, wo sich Kinder als Wasserlieferanten einen Konkurrenzkampf liefern. Oder eine kilometerlange Fahrt durch Straßen am Balkan, entlang von Häusern, die zahlreiche Einschusslöcher, Zitat "Kriegsnarben", tragen. In einer Art Zufälligkeit der Bilder drückt sich für Monika Willi auch Michael Glawoggers Wunsch nach Vorurteilsfreiheit aus.

Irritierende Texte

Immer wird der Bilderfluss von der Tonspur gebrochen durch eingesprochene Texte, die Michael Glawogger selbst als Blog während seiner Reise geschrieben hat, Kommentare, die zumindest gewöhnungsbedürftig sind, de facto von der Konzentration auf das Visuelle ablenken. "Wie immer sind hier die Meinungen gespalten", meint Monika Willi. "Die einen sind Fans der Texte, die anderen davon irritiert. Mir waren sie als Gedankenpfeiler wichtig, um dem Reisenden und Filmemacher Platz geben."

Fußball auf Krücken

"Untitled", schon im Titel drückt sich die Widersprüchlichkeit der Welt aus, die dem mitreisenden Kinozuseher begegnet. Trotz der Rohheit vieler Momente, der Zuspitzungen von Natur, von Konkurrenz und Gewalt offenbart der Film eine unheimliche Poesie im doppelten Wortsinn, und als Kontrast eine Lebensbejahung, etwa wenn sich Kriegsamputierte in Freetown zum Fußball am Strand treffen, und mit vollem Einsatz auf Krücken dem runden Leder hinterherjagen.

Service

Diagonale - 28. März bis 2. April 2017, Graz

Gestaltung

  • Arnold Schnötzinger