Sebastian Kurz

APA/ROLAND SCHLAGER

Schwarz-blaue Medienstrategie

Kontrollfreaks an der Macht

Wie nach einem Drehbuch hat Sebastian Kurz die Macht in der ÖVP übernommen, ein perfekt inszenierter Wahlkampf auf allen Kanälen hat ihn zum Wahlsieg und ins Bundeskanzleramt katapultiert. Jetzt an der Macht, wollen Kurz und seine Leute noch weniger dem Zufall überlassen. Das Mittel dazu heißt Message Control. Aber es wirkt nicht immer.

Ministerratssitzung in Wien. Am Tag davor ist bekannt geworden, dass der freiheitliche Spitzenkandidat für die niederösterreichische Landtagswahl Vizevorsitzender einer Burschenschaft war, die Nazi-Liederbücher auf ihrer Bude in Wiener Neustadt herumliegen hat. Die Enthüllung der Wiener Stadtzeitung "Falter" hat eingeschlagen wie eine Bombe. FPÖ-Obmann und Vizekanzler Heinz-Christian Strache tritt vor die Journalisten und spricht es von sich aus an.

Heinz-Christian Strache

Heinz-Christian Strache

APA/GEORG HOCHMUTH

"Widerliche" Lieder durchkreuzen Plan

"Widerlich" und "widerwärtig" seien die antisemitischen Liedtexte, die da aus dem Burschenschafter-Milieu bekannt geworden sind, sagt Strache. Dieses Wording sollte man noch öfter an diesem Tag hören, auch von ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel und Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal. Doch Fragen nach politischen Konsequenzen aus dieser Affäre, die werden abgeblockt. Der Bundeskanzler als erster Adressat für diese Fragen taucht gar nicht erst auf.

Versteckspiel mit dem Olympia-Team

Die Begründung ist ebenso nachvollziehbar wie fadenscheinig: Sebastian Kurz müsse das österreichische Olympia-Team in der Hofburg verabschieden, sagt der Regierungssprecher. Doch da ist später auch der Vizekanzler und Sportminister dabei, Zeit wäre genug gewesen. Als das Thema im Pressefoyer nach dem Ministerrat wird und der Regierungssprecher ins Schwimmen gerät, springt Gerald Fleischmann in die Bresche. Der Chef-Kommunikator des Bundeskanzlers hat sich schnell ein Handy-Foto von draußen schicken lassen, das die Olympioniken zeigt, die schon im Burghof Aufstellung genommen haben.


Der Chefkommunikator als Ausputzer

Soll keiner im Radio auf Sendung sagen können, der Kanzler hätte noch Zeit für Antworten gehabt. Fleischmann hat alles unter Kontrolle. Inhaltliche Vorstöße von Ministern müssen mit ihm abgesprochen werden, selbst Minister-Interviews gehen über seinen Tisch im Kanzleramt. Aber nur fallweise, wird betont. Fleischmann ist auch mit den FPÖ-Ressorts in regem Kontakt. Wenn dann plötzlich Nazi-Liederbücher auftauchen, ist freilich auch der beste Kontrolleur machtlos. Dann hilft nur noch Schadensbegrenzung.

"Ende des kommunikativen Hickhack"

Die Generallinie sei aber klar und ganz bewusst gewählt, sagt Gregor Schütze, PR-Berater und früherer Pressesprecher der ÖVP-Ministerin Maria Fekter: "Das kommunikative Hickhack und die unkoordinierten Statements auch innerhalb der Regierung – das hat man verändert, das erleben wir jetzt auch nicht mehr in der neuen Regierung." Und Heimo Lepuschitz, der in der Ära Schüssel auf FPÖ- und BZÖ-Seite Pressesprecher war und heute als Kommunikationsberater arbeitet, verweist auf international übliche Vorgangsweisen: "Das ist ein europaweiter Trend, den kann man gut finden oder schlecht finden."

Macron und Trudeau als Vorbilder?

Lepuschitz weiter: "Wenn man sich anschaut, wie der Medienliebling Emmanuel Macron in Frankreich oder der kanadische Premier Justin Trudeau nach außen kommunizieren, dagegen ist die österreichische Regierung durchlässig wie ein altes Fass." Das stimmt so natürlich nicht. Die ÖVP-Ressorts bewahren unter dem strengen Auge des Fleischmann tatsächlich Disziplin, dabei hilft auch, dass in der ÖVP-Regierungsriege viele Newcomer sind – die lassen sich gern und leicht vom Kanzleramt steuern.

Der unkonzentrierte Innenminister

Die FPÖ-Regierungsmitglieder sind samt und sonders Neulinge, und dort geht kommunikativ immer wieder einmal was daneben. Etwa die Diskussion über 12-Stunden-Tag und Arbeitslosengeld, wo eine Systemumstellung Richtung Hartz IV kommen soll – das in Deutschland so ungeliebte Modell. Oder Herbert Kickl, der gleich zweimal von "Konzentration" in Zusammenhang mit den geplanten Asylwerber-Lagern gesprochen hat. Das erste Mal ist es niemandem aufgefallen, sonst hätte der Kanzler noch mehr Erklärungsbedarf gehabt. Die Causa hat Sebastian Kurz so schon bis nach Paris verfolgt, wo er im Elysée-Palast in Paris auf Staatsbesuch war. Dabei sind Auslandsreisen immer Heimspiele für Kurz. Speziell in Deutschland ist er ja extrem beliebt, und die wenigen kritischen Fragen, die hat Kurz zu Hause alle längst beantwortet. Alles unter Kontrolle.

Umstrittener blauer Kommunikationsprofi

Die strategische Kommunikation auf FPÖ-Seite liegt bei Alexander Höferl, der in der Oppositionszeit gemeinsam mit Innenminister Herbert Kickl die Fäden der freiheitlichen Parteikommunikation in der Hand gehabt hat. Mit #doublecheck wollte Höferl nicht reden. Er will Angriffsflächen vermeiden, denn er ist umstritten. Höferl, der seine Funktion im Büro des Innenministers ausübt, hat nämlich die Internet-Plattform "unzensuriert.at" aufgebaut, das ist ein Online-Medium, das seine Klicks vorwiegend mit Artikeln generiert, die gegen Ausländer und gegen das Establishment Stimmung machen.

Im Visier der Verfassungsschützer

Das bestätigt das Bundesamt für Verfassungschutz, das "unzensuriert.at" als "zum Teil äußerst fremdenfeindlich" bezeichnet - und dem Portal auch antisemitische Tendenzen bescheinigt hat. Gegenüber einer RTL-Journalistin, die verdeckt bei "unzensuriert.at" recherchiert hat, hat Höferl gesagt, dass die Plattform so positioniert sei, dass eine reine Positiv-Berichterstattung gegenüber den Freiheitlichen gefahren werde.

Brodnig wartet auf FPÖ-Zurückhaltung

Eine problematische Optik bleibt. Die Journalistin Ingrid Brodnig dazu: "Es macht einen Unterschied, ob ein Politiker in der Opposition sitzt oder ob er in der Regierung sitzt – und damit auch Österreich vertritt." Auswertungen würden zeigen, dass etwa "unzensuriert.at" eine der Seiten sei, die FPÖ-Chef Vizekanzler Strache am häufigsten auf Facebook geteilt habe. "Ich bin sehr gespannt, ob diese Strategie von Seiten offizieller FPÖ-Politiker beibehalten wird", sagt Brodnig.

Regierungssprecher als Zudecker?

Nicht von ungefähr hat die Koalition sich entschlossen, mit Peter Launsky-Tieffenthal einen Regierungssprecher zu installieren, der für beide Parteien spricht. Launsky gilt als das freundliche Gesicht nach außen. Doch in seine Rolle, das meinen viele in der Branche, müsse er erst hineinfinden. Till Rüger vom ARD-Büro in Wien: "Launsky ist oberflächlich. Er versucht, Dinge eher abzuwehren, eher weniger Information zu geben als mehr. Da war es interessanter, den Minister oder den Bundeskanzler zu fragen, also bei ihm dann noch einmal nachzufragen", so Rüger.

Berlin als leuchtendes Beispiel

Der ARD-Journalist Rüger kennt den Umgang mit einem Regierungssprecher seit Jahren. Von Steffen Seibert in Berlin bekomme man zitierfähige Informationen, das sei ganz etwas anderes. Rüger ist nicht allein mit seiner Kritik. Auch in den Reihen der Regierung sieht man noch Luft nach oben. Launsky selber wollte nicht mit uns sprechen, obwohl wir mehrfach um ein Interview gebeten haben. Keine Zeit, hieß es.

Message Control mit dem Boulevard

Überall Message Control. Das geht sogar so weit, dass die Kurz-Vertraute und Umweltministerin Elisabeth Köstinger in einem Tweet zum grenznahen ungarischen Atom-Kraftwerk Paks für "mehr Infos" auf einen Link zur "Kronen Zeitung" verweist.



Die FPÖ wiederum versucht, über ihre Social-Media-Kanäle die Kontrolle zu behalten, was grundsätzlich gelinge, meint Heimo Lepuschitz: "Ein Strache-Posting sind ungefähr zwanzig "Falter"-Leserschaften, um das einmal zu dimensionieren. Man erreicht extrem viele Menschen, und was man nicht vergessen soll: Man hat ein sofortiges Feedback, das wird extrem professionell gescreent."

Wenn die FPÖ geschlossen ZiB2 verweigert

Tatsächlich ist die Reichweite auf Facebook enorm. Neu ist, dass das Feedback auf Strache-Postings auch negativ ausfällt. Viele Regierungsvorhaben werden von Fans kritisiert, das kann man nicht abdrehen. Da ist es leichter, nicht in die ZiB2 zu gehen. Und befreundete Plattformen wie "wochenblick.at" machen daraus sogar noch eine Positivmeldung: "Jubel im Netz: FPÖ verweigert geschlossen ZiB2! Armin Wolf enttäuscht."

Der Medienberater Peter Plaikner hat es in einem Kommentar in der "Kleinen Zeitung" auf den Punkt gebracht: "Kommunikation braucht Inhalt. Noch keine Regierung hat diese Latte so hoch gelegt wie dieses Kabinett."

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