Seifenblase

APA/DPA/FRANK RUMPENHORST

Tschechow im Lockdown

"Landpartie" von Gary Shteyngart

Als einer der witzigsten unter den amerikanischen Gegenwartsautoren gilt Gary Shteyngart. Seine Bücher werden mit Trailern beworben, in denen Hollywoodgrößen wie James Franco oder Ben Stiller auftreten. Jetzt ist Shteyngarts neuer Roman "Landpartie" erschienen, in dem acht Freunde den Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie in einem Landhaus aussitzen.

Wenn schon Isolation, dann im Luxus, sagt sich Gastgeber Sasha Senderovsky und lässt gleich einmal einen vierstelligen Dollarbetrag beim Wein- und Spirituosenhändler seines Vertrauens liegen.

Gescheitertes Alter Ego

Dieser Senderovsky hat einiges mit seinem Schöpfer gemeinsam. Wie Gary Shteingart ist er auch Schriftsteller, ebenfalls 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad zur Welt und als Kind in die USA gekommen, und ebenfalls Besitzer eines Landhauses im Hudson Valley in Upper New York.

"Ich lehne meine Figuren gerne an Menschen an, die ich kenne", so Shteyngart, "inklusive mir selbst, allerdings zwicke ich meine Figuren gerne ein wenig. Deshalb ist Sascha zwar genau wie ich Schriftsteller, allerdings befindet er sich auf dem absteigenden Ast und in Geldnöten. Auf mich trifft das noch nicht zu: Ich schaffe hoffentlich noch ein paar Bücher, bevor ich meinen Sturzflug hinlege."

Full House mit fiktiven Gestalten

Seinen Roman "Landpartie" habe er geschrieben, sagt Shteyngart, weil er sich so einsam gefühlt habe, allein mit seiner Familie in dem großen Haus. Und so habe er es eben mit seinen Figuren bevölkert.

Neben Sasha und seiner Frau, einer Therapeutin, finden sich da etwa die höchst erfolgreiche Gründerin einer Dating-App, ein indischer Professor, der mittlerweile als Koch in einem Schnellrestaurant arbeiten muss, und ein von aller Welt angehimmelter Schauspieler.

Farn mit Spinnweben auf Buchcover "Landpartie"

PENGUIN

Gary Shteyngarts Roman "Landpartie" ist bei Penguin Verlag München erschienen.

Dramaturgische Handgranate

"Ich spielte damit", erzählt Gary Shteyngart, "wie wir in den USA mit Stars umgehen. Das geht nämlich weit über Anbetung hinaus. Bei uns gibt es zwar keinen Adel und keine Monarchie, aber wir haben diese Menschen, deren Namen immer fettgedruckt werden und die sich jenseits aller Vorstellung befinden."

Die Figur des Schauspielers nimmt Shteyngart aber auch her, um die Handlung gefährlich in Fahrt zu bringen. "Er ist die Handgranate, die explodiert", so Shteyngart, "denn er verliebt sich in die eine Figur und eine andere sich in ihn und schon haben wir die schönste Tolstoische Dreicksbeziehung beisammen."

Über kurz oder lang

So verlieben und betrügen sich die Figuren in wechselnden Konstellationen und dazwischen essen sie gut. Nicht selten erinnert einen das Setting an ein Tschechow-Drama, mit dem Gutsherren, der gegen den drohenden Konkurs kämpft und dem Intrigenspiel um ihn herum.

Tatsächlich habe er während des Schreibens jeden Tag zwei bis drei Stunden Tschechow gelesen, sagt Shteyngart: "Ich beneide Menschen wie Tschechow, die sich kurzhalten können. Ich bin aber ganz mies darin, mich kurz zu fassen. Ich brauche sechs, sieben Stunden, um rüberzubringen, was ich sagen will."

Sitcom-Stoff

Deshalb kommt Gary Shteyngarts Landpartie auf 480 Seiten Länge, die aber keine Längen haben. Weil Shteyngart - erstens - als sensibler Satiriker seine Figuren zwar zwickt, aber nicht verrät, und so alles aus ihnen herausholt. Weil - zweitens - die Dialoge so schnittig-scharf sind, dass sie nach einer Verfilmung als Mini-Sitcom schreien. Und weil - drittens - das weite Anwesen mit seinen Bungalows die perfekte Spielwiese für den Wechsel von Verrat und Versöhnung abgibt.

Service

Gary Shteyngart, "Landpartie", Roman, aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl, Penguin Verlag. Originaltitel: "Our Country Friends"

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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