Im Land der begrenzten Unmöglichkeiten

Handbuch für den russischen Debütanten

Romane über die Zerrissenheit und Wurzellosigkeit von Flüchtlingen und Immigranten sind Legion. Salman Rushdie, Arthur Phillips, Jonathan Safran Foer und viele andere haben sie geschrieben. Dieser Roman ist ein weiterer. Aber dieser hier ist anders.

Gary Shteyngart über seine alte Heimat

Gary Shteyngart, ein 31-jähriger jüdisch-russischer Amerikaner, packt seine Story über Vladimir Girshkins verzweifelte Suche nach einem warmen Plätzchen in der Welt, in eine Art Comic-Plot.

Die Girshkins erobern Manhattan

"Du kommst wieder Jud, hatte der Zollbeamte zur Mutter gesagt", damals 1979, als die Girshkins zusammen mit anderen die Sowjetunion verlassen dürfen. "Tonnen von Getreide aus dem Mittleren Westen gegen Tonnen von Juden aus Russland."

Die Girshkins lassen also Leningrad hinter sich und erobern Manhatten: Dr. Girshkin als findiger Versicherungsbetrüger, Jelena Girshkin wird als Unternehmensberaterin steinreich. Nur aus dem einzigen Sohn Vladimir will und will nichts werden außer Integrationsassistent für Einwanderer im Emma-Lazarus-Verein - 8 Dollar Stundenlohn. Mama nennt ihn deshalb zartfühlend FAILurchka - mein kleiner Versager".

Auf das richtige Laufen kommt es an

An seinem 25. Geburtstag nimmt sie ihn sich wieder mal zur Brust und bringt ihm das Laufen bei. Nicht wie ein Jude, sondern wie ein Christ: "Du musst den Boden stempeln, als würde er dir gehören," macht sie Vladimir vor.

Vielleicht war das der entscheidende Tipp. Wenig später jedenfalls steigt Vladimir beim Integrationsverein aus und steigt beim russischen Mafiachef in Prag als "außerordentlicher Direktor" ins ganz große "Bizziness" ein.

Sprüche und Pointen, Einfälle und Einsichten

Shteyngarts Handbuch ist ein anarchischer Lesespaß, ein gnadenlos boshaftes Feuerwerk an Sprüchen und Pointen, Einfällen und Einsichten. Dabei schießt er nicht nur gegen das Klischee vom gemütlichen russischen Bären, seelenvollen Babuschkas und der ewigen Wodkaseligkeit, sondern auch gegen das weltfremde linksintellektuelle amerikanische Milieu, das er offenbar selbst erlebt hat.

"Ich ging an ein richtig marxistisches College in Ohio. Und zwar um Politikwissenschaften zu studieren. Meine Abschlussarbeit 1985 trug den Titel "Back in the USSR" und handelte davon, wie die Union der Sowjetrepubliken wieder aufersteht, den Kapitalismus ein für allemal erledigt und die Weltherrschaft übernimmt. Ich bekam Summa Cum Laude und ein rotes Telefon in mein Büro."

Von Philip Roth gelernt

Shteyngarts Held Vladimir findet am Ende ein warmes Plätzchen in der Welt, Frau, Kind und ein nettes Zuhause sowie einen Job als Buchhalter in Schwiegerpapas Enterprise. Dieses Heile-Welt-Happy-End ist einer von Shteyngarts weniger guten Witzen, deshalb sei es auch hier verraten.

Es gibt ganz wenige Bücher, die es schaffen, das Zwerchfell zwingend zu kitzeln - Philip Roth in Portnoys Beschwerden wäre so eins, und von diesem Philip Roth hat Shteyngart offenbar eine ganze Menge gelernt; zum Beispiel dass das offenbar typisch enge jüdische Mutter-Sohn-Verhältnis eine prima Basis für viele komische Missgeschicke abgibt.

Umwerfende Originalität

Manchmal übertreibt's der junge Autor aber und galoppiert im Gagfieber davon. Es sind aber weniger die Kalauerqualitäten seines Texts als zarte Ideen von umwerfender Originalität und die ganz genau dazu passenden Bilder, die den Leser bei der Stange halten, zum Beispiel als der betrunkene Loser Girshkin sich am Anfang der Geschichte in eine elegante hübsche Amerikanerin verliebt:

Dann vollführte sie eine sehr unschuldige Geste - sie strich sich eine verirrte Zwirbellocke hinters Ohr. Dabei entblößte sie einen Streifen weiße Haut, an den die Sommersonne nicht gekommen war. Und der Anblick dieses Stückchens Haut wirbelte den betrunkenen, schwindeligen Vladimir hoch und über den wackeligen Holzzaun, hinter dem die Verliebtheit gehalten wird und die Fettschicht der Herzen abweidet. (...) Ihm kamen beinahe die Tränen. Das war alles so... Aber die Ermahnungen seines Vaters aus der Kindheit waren unmissverständliche: Geweint wird nicht. Er probierte es stattdessen mit Schielen.

Buch-Tipp
Gary Shteyngart, "Handbuch für den russischen Debütanten", aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert und Christiane Buchner, Berlin Verlag 2003, ISBN 3827004837