Gedanken für den Tag

von Reinhold Stecher. "Weihnachten kann man riechen"

Und trotzdem: Weihnachten kann man riechen. Es riecht nach Tannenzweigen, Keksen und Weihrauch - ein Duft, der nicht jedem liegt, manchen sogar an das Diktum vom "Opium für das Volk" erinnert. Dennoch ist es gut, wenn der Weihrauchduft in dieser Zeit aus dem Bereich des Sakralen ausbricht und in die Räume des Alltags wandert, findet der Innsbrucker Altbischof Reinhold Stecher.

Am 22. Dezember wird der Theologe, Bergsteiger, passionierte Maler und Autor Reinhold Stecher 90 Jahre alt. Aus seinem Buch "Die leisen Seiten der Weihnacht" hat der bekannte Innsbrucker Altbischof Texte zu den turbulenten und zu den stillen Momenten der letzten Tage vor Weihnachten gelesen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

"Mutti, Weihnachten kann man riechen", sagte das kleine Mädchen. An diesem Kinderwort, das ich einmal gehört habe, ist etwas Wahres dran. Kindernasen sind etwas feinfühliger als unsere abgestumpften, zivilisationsgeschädigten Erwachsenenriechorgane, aber wir alle werden uns erinnern, dass bestimmte Düfte, die durchs Haus gezogen sind, einen ausgesprochen festlichen und aufregenden Charakter hatten. Ein paar brennende Kerzen, ein paar Tannenzweige im Ofen, der Geruch von frischgebackenen Keksen, das alles ergab ein Bouquet, das die teuersten französischen Parfums ausgestochen hat.

Weihnachten kann man riechen. Beim Gang durch Innsbrucks Altstadt, wo jedes Jahr der Christkindlmarkt seine Buden aufgeschlagen hat, muss ich nur ein paar Augenblicke die Augen zumachen, dann fällt mir die weltberühmte blinde Amerikanerin Helen Keller ein, die vor einem Menschenalter geschrieben hat, die Gerüche unter den Lauben der Innsbrucker Altstadt hätten sie so fasziniert, dass sie sie in ihrer unvergesslichen Einmaligkeit immer wieder erkennen würde.

Weihnachten kann man riechen. In der Heiligen Schrift und in uralten Riten der Kirche kommt auch der Duft zu seinem Recht. Um Weihnachten streicht er ja nicht nur um die Altäre, da wagt er sich auch in die Häuser und Wohnungen und zwar nicht nur auf Berghöfen, wo man seit jeher alte Bräuche pflegt und in den drei Heiligen Nächten, am Heiligen Abend, um Silvester und vor Drei König die Glut schwenkt, sondern auch in jungen Familien und im städtischen Milieu, wo man im Zuge einer neuen Familienkultur zur Freude der Kinder das kleine Räucherwerkzeug verwendet. Schließlich tun es auch ein paar Weihrauchkörner auf einer heißen Platte, um die Feststellung des kleinen Mädchens wahr zu machen.

Weihnachten kann man riechen. Wenn wir über solche Scherze vielleicht achselzuckend hinweggehen, müssen wir doch anerkennen, dass Kinder ein Gespür für urtümliche Symbole haben, auch für solche, die durch die Nase ziehen.

Service

Buch, Reinhold Stecher, "Die leisen Seiten der Weihnacht", Verlag Tyrolia

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Sendereihe

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Titel: GFT 111219 Gedanken für den Tag / Reinhold Stecher
Länge: 03:49 min

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