Schweden vor der Wahl

Musterland für Gleichberechtigung?

Schweden gilt – wie die anderen skandinavischen Länder auch – als Musterland der Gleichberechtigung. Beim jährlichen "Gender Gap Index" des Weltwirtschaftsforums glänzte Schweden zuletzt auf Platz 4 vor Island, Finnland und Norwegen. Österreich liegt auf Rang 42. Der Index misst die Aufteilung von Ressourcen und Chancen unter Männern und Frauen. Wie und wo haben es die Frauen in Schweden besser?

Mittagsjournal, 15.09.2010

Trotz allem: Benachteiligung

"Hier kommt Pippi Langstrumpf" - 1945 schon hat Astrid Lindgren ihren ersten Pippi-Band veröffentlicht und mit dem frechen rebellischen Mädchen Generationen von Schwedinnen gezeigt, wie Frau losgelöst von Rollenbildern selbstbestimmt leben kann. Aber die Realität sieht anders aus: "Die traditionellen Rollen haben auch die Schweden nicht hinter sich gelassen, mit allen Folgen der Diskriminierung", wettert Gudrun Schymann, Schwedens populärste Feministin, die mit ihrer Mini-Partei "Feministische Initiative" um Stimmen kämpft. Einiges mag hier besser sein, räumt sie ein, aber in vielem ist es so wie anderswo: "Vor allem auf dem Arbeitsmarkt, wo die Frauen 20 Prozent weniger verdienen, weil sie erstens die schlechter bezahlten Frauenberufe haben, und zweitens auch in Schweden für gleiche Arbeit bei gleicher Qualifikation Frauen zwischen fünf und neun Prozent weniger verdienen."

Mehr Väter in Karenz

84 Prozent der schwedischen Frauen sind berufstätig. In Österreich sind es 72. Ein hervorragend ausgebautes Kinderbetreuungssystem ab dem ersten Lebensjahr macht es möglich. Und noch etwas ist in Schweden anders: Viel mehr Väter gehen in Karenz. 20 Prozent der Karenzzeit übernehmen Männer, in Österreich sind es gerade vier Prozent. Und vor allem in Stockholm findet niemand etwas dabei, wenn Väter mit Kinderwagen vorbeispazieren.

Finanzielle Anreize

Björn, ein Angestellter im öffentlichen Dienst, übernimmt sechs von den 16 Monaten, die Eltern zustehen, und er genießt es. Auch hier verdienen meistens die Männer mehr, sagt er: "Aber wenn du 80 Prozent deines Gehalts bekommst, kannst du es dir doch leisten! Wer sehr viel verdient, verliert mehr, weil bei 3.700 Euro ist die Grenze. Aber dann bist du ohnehin reicher und kannst es dir deshalb leisten."

Förderung fürs Zuhausebleiben?

Heiß diskutiert wird im Wahlkampf ein Vorschlag der Christdemokraten, der kleinsten Partei der regierenden Koalition. Sie wollen es belohnen, wenn Mütter – auch Väter, wie sie betonen – die ersten drei Jahre mit dem Kind zuhause bleiben, weil das eine wichtige Zeit in der Entwicklung des Kindes sei, betont die christdemokratische Frauenpolitikerin Desiree Engström. Gefährlich findet das Lena Westerlund, Chefökonomin des Dachverbandes der Gewerkschaften: "Damit schwächen wir die Teilnahme der Frauen am Arbeitsmarkt, das ist das genaue Gegenteil der Politik, die die sozialdemokratischen Regierungen verfolgt haben."

Bewährte Frauenquote

Die Gewerkschafterin propagiert auch die (sehr erfolgreiche) norwegische 40-Prozent-Frauen-Quote in den Vorständen börsennotierter Unternehmen, wo auch in Schweden unter hunderten Männern nur drei oder vier Frauen sitzen. "Wir wollen und sollen uns nicht in die Firmenpolitik einmischen und sind gegen Quoten", sagt dazu die Frau aus dem gegnerischen Lager, die Christdemokratin Engström. Sie selbst zählt zu den fast 50 Prozent Frauen in der schwedischen Politik. "Leicht war es nicht immer", sagt sie, "man braucht Männer als Förderer. Heute wäre es jeder schwedischen Partei peinlich, nicht die Hälfte Frauen auf ihren Listen zu haben."

"Männer können am meisten verändern"

Inzwischen hat die Feministin Gudrun Schymann in ihrer Rede viele weitere Benachteiligungen aufgelistet, und es kommt die Frage, was die Frauen selber bei zur Fortschreibung der Rollenbilder beitragen: "Man soll die Schuld nicht den Frauen zuweisen. Denn das ist etwas, das die ganze Gesellschaft angeht. Und am meisten verändern kann der, der die meiste Macht hat, und das sind die Männer," sagt Schymann.

Neue Wende in Schweden?

In Schweden finden am kommenden Sonntag Parlamentswahlen statt. Nachdem seit vielen Jahrzehnten mit wenigen Ausnahmen immer die Sozialdemokraten regiert haben, könnte die zuletzt regierende konservativ-liberale Koalition erstmals eine Wiederwahl schaffen. In den Umfragen liegt sie seit Monaten knapp vor dem Linksbündnis.