Gedanken für den Tag

Von Johanna Schwanberg. "Malerischer Dialog mit der Bibel" - Gedanken zum 125. Geburtstag von Marc Chagall. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Seit seiner Kindheit war Marc Chagall fasziniert von der Bibel, von der er einmal sagte: "Sie scheint mir noch immer die bedeutendste Quelle der Dichtung aller Zeiten zu sein. Seither suche ich im Leben wie in der Kunst nach ihrem Widerschein."

Anhand einzelner Gemälde beleuchtet die Kunstkritikerin Johanna Schwanberg Marc Chagalls Leben und Schaffen als einer der bedeutendsten Maler der Moderne. Im Zentrum steht dabei Marc Chagalls Auseinandersetzung mit religiösen und existentiellen Themen. Als in Weißrussland geborener jüdischer Maler, der in der Metropole der Avantgarde in Frankreich lebt, versucht Chagall eine Bildsprache zu finden, die sowohl seiner jüdischen Identität als auch der christlichen Kunsttradition gerecht wird.

Wirklichkeit und Phantasie

Blau, blau und wieder blau. Es ist aber keineswegs immer dasselbe Blau. Einmal bewegt es sich in Richtung Lila: Dann wiederrum ist es mit milchigem Weiß durchmischt oder es enthält smaragdgrüne Anteile. Marc Chagall war ein Meister der Farbmischung. Besonders hat er Blau geliebt. Ein leicht ins Violett tendierendes Blau ist so untrennbar mit seinen Bildern verbunden, dass es in die Alltagssprache überging. Ich habe nicht wenig gestaunt, als ich vor einigen Jahren gelesen habe, dass es ein Auto in Chagall-Blau zu bestellen gibt.

Blau war für Chagall die Farbe, mit der er seine Faszination für Traumwelten, für die poetisch-phantasievollen Seiten des Lebens am besten ausdrücken konnte. Es zieht sich genauso durch sein Schaffen wie seine Zirkusleidenschaft und sein Interesse an Clowns, Musikanten und Akrobaten. "Für mich ist der Zirkus ein magisches Schauspiel, das kommt und vergeht wie eine Welt", hat Chagall einmal gemeint.
Das Ölbild "Blauer Zirkus" ist ein Schlüsselwerk in seinem Oeuvre. Er hat es in den 1950er Jahren als Studie für Wandmalereien eines Londoner Theaters gemalt. Zu sehen ist eine rotgekleidete Artistin, die kopfüber durch den blauen Bildraum schwebt. Über ihr ein Fisch. Unter ihr ein grüner Pferdekopf. Neben ihr ein leuchtend gelber Mond, der auf einer Geige musiziert.

Ich weiß nicht mehr genau, wann und wo ich dieses Gemälde das erste Mal gesehen habe. Wahrscheinlich ist es mir als Kind in einem Buch oder auf einem Kalender begegnet. Damals habe ich noch nicht gewusst, dass ich mich später beruflich mit Kunst befassen werde. Aber das Bild "Blauer Zirkus" hat meine Begeisterung für Farben und Formen geweckt. Weil es zeigt, dass Malerei, wie natürlich auch Musik oder Dichtung, Fantasiewelten erschaffen kann. Welten, die der Wirklichkeit etwas Poetisches gegenüberstellen. Etwas, das über die materielle Existenz hinausgeht und dabei genauso zentraler Bestandteil des Lebens ist wie die Realität selbst.

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Titel: GFT 120705 Gedanken für den Tag / Johanna Schwanberg
Länge: 03:49 min

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