Zwischenruf

von Dr. Christoph Weist (Wien)

Vom abstoßend strengen Pfarrer in Michael Hanekes preisgekröntem Film "Das weiße Band" bis zur "Pastorentochter" Angela Merkel, die mit erhobenem Zeigefinger die griechische Bevölkerung zum Sparen zwingt, koste es was es wolle, zieht sich, meist unausgesprochen, eine Linie. Es ist die Vorstellung, der Protestantismus sei lust- und lebensfeindlich.

Vor allem im Vergleich mit der angeblich leichten Lebensart der Völker des Mittelmeeres umgibt die Evangelischen der Geruch von Gesetzlichkeit, Spielverderberei und missmutiger Lebenseinstellung. Und es werden theologische Legenden transportiert: Etwa die Rede von Johannes Calvins kapitalistischer Gesetzesethik oder die Fama von Martin Luthers übersteigertem Sündenbewusstsein. Zusammen ergibt dies die Vorstellung von einem wenig einladenden moralinsauren Bibelglauben der Protestanten. Sie schimmert in so manchem aufgeklärten Kommentar zum Zeitgeschehen mehr oder weniger deutlich durch.

In der Tat ist die Orientierung an der Bibel den Evangelischen eminent wichtig. Und gerade sie zeigt, dass sich hier ein riesengroßes Missverständnis eingeschlichen hat. Ich weiß nicht, wie es entstanden ist, aber ich denke, der Beginn der Sommermonate ist eine gute Gelegenheit, einiges in Erinnerung zu rufen.

Evangelische kennen - und kannten immer - nicht nur eine Szene in der Bibel, die das Leben vollauf bejaht, die Freude und das Feiern. Und sie haben diese Überlieferungen keineswegs vergessen. Vielmehr sind sie ihnen eine wichtige Motivation, ihr persönliches und kirchliches Leben, aber auch das der ganzen Gesellschaft zu gestalten.

Es fängt damit an, dass schon Jesus von seinen streng gesetzestreuen Gegnern als "Fresser und Weinsäufer" bezeichnet worden ist (Mt 11,19). Nicht etwa weil er üppig gelebt hätte, sondern weil er sich ganz fröhlich und ungezwungen mit den Falschen, den Verachteten und Ausgestoßenen, an einen Tisch gesetzt hatte. Dass die evangelischen Kirchen auch heute noch immer wieder so frei sind, sich mit den "Falschen" in der Gesellschaft an einen Tisch zu setzen und für ihr gutes Leben einzutreten, ist nicht ganz unbekannt.

Auch kennen Evangelische sehr wohl den biblischen Bericht, nach dem Jesus seine Jüngerinnen und Jünger deutlich aufgefordert hat, nicht zu fasten und "Leid zu tragen", sondern zu feiern wie auf einer Hochzeit (Mt 9,15). Überhaupt wird in der Bibel das Reich Gottes, d.h. Gottes Machtbereich und das, was Gott will, als riesengroßes Hochzeitsfest vorgestellt. Gemeint ist das gute und schöne Leben, zu dem sehr wohl auch ein paar herrliche Urlaubswochen am Strand oder in den Bergen oder ein geselliges Sommerfest in einem Pfarrgarten gehören können.

Viel bekannter noch ist die Erzählung vom Weinwunder auf der Hochzeit zu Kana. Als der Wein ausgegangen war, verwandelt der Hochzeitsgast Jesus Wasser in Wein. Ausleger haben vermutet, dass hinter dieser fantastisch anmutenden Geschichte Erinnerungen an den griechischen Weingott Bacchus stehen könnten. Jedenfalls ist die Geschichte am Anfang des Johannesevangeliums ein deutliches Signal der Freude und Lebensbejahung. Und gern wird in evangelischen Kirchen über sie gepredigt.

Nein, Evangelische - und überhaupt Christinnen und Christen - haben niemals Grund, lust- und sinnenfeindlich eine Gesellschaft am Gängelband zu halten. Wo sie es tun, - wie der norddeutsche Pfarrer in Michael Hanekes Film - haben sie ihre Basis verlassen, die Botschaft, die sich die "Frohe" Botschaft nennt. Die haben sie weiterzugeben, fröhlich und dem Leben zugewandt. Damit nicht nur von Griechenland bis Portugal, sondern auf der ganzen Welt Menschen in Friede und Gerechtigkeit, aber auch in Freude miteinander leben können.

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