Gedanken für den Tag

6. November 2012, 06:56

Vom Mitbringen

Jeder, jede erlebt, so meine ich, im Alltag eine Unzahl von Episoden, von Kammerspielen, in denen uns eine Rolle zuteil wird, scheinbar zufällig, und sei es die eines Zeugen. Unversehens können die Rollen wie durch eine unsichtbare Regie vertauscht werden. Uns bleibt die Entscheidung der Richtung, die wir ihnen geben.

Folgende Begebenheit, von der mir jüngst berichtet wurde, will ich nicht für mich behalten: Er, ein geistreicher Herr, zeitlebens eine Frohnatur, hat Alzheimer, - sie ist engagierte Buchhändlerin.

Seit vielen Jahren übernimmt er für sie die Wege auf das nahe gelegene Postamt, um bestellte Bücher aufzugeben. Das geht immer noch. Sie gibt ihm einen Zettel mit, die verpackten Bücher, das Geld. Neulich kommt er zurück, und sie wird stutzig über die Summe, die er ihr übergibt. Sie ruft an. Der Beamte am Postamt erklärt ihr, was geschehen ist: Eine Dame, eine unbekannte Kundin, sieht den verunsicherten Herrn bei der Aufgabe der Bücher, bietet ihm ihre Hilfe an, bezahlt das Porto und will gehen. Der Beamte hält sie auf und fragt sie nach Namen, Telefonnummer, aber sie gibt sie nicht preis - es freue sie, wenn sie jemandem helfen könne. Die Buchhändlerin wird verlegen. Sie sagt, es sei ihr sehr unangenehm, und sie werde aufhören, ihren Mann auf die Post gehen zu lassen.

"Don't do that, Lady", sagt der Postbeamte, - "tun Sie das nicht, er bringt jedes Mal so viel Freude mit, wenn er bei der Tür hereinkommt".

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