Zwischenruf

Von Superintendent Hermann Miklas (Graz)

"Ernte - Dank?"

In vielen Kirchen wird heute das Ernte-Dank-Fest begangen. Ein echtes Fest - ja: Anschaulich und konkret - es eignet sich hervorragend dazu, mit allem Drum und Dran auch wirklich groß "gefeiert" zu werden. Zugleich aber ist es wohl eines der nachdenklichsten Feste im Jahreskreis. Es lädt dazu ein, mit den Gedanken zurückzuwandern und die nun zu Ende gehende Saison mit all ihren Höhen und Tiefen noch einmal Revue passieren zu lassen. Da können dann auch die Schattenseiten dieses Jahres ihren gebührenden Platz bekommen - die auf der Alm verunglückte Kuh zum Beispiel oder das durch Hagelschlag verwüstete Kukuruzfeld...

Doch insbesondere darf heute natürlich dessen gedacht werden, was alles gut gelungen ist! Erntedank lädt dazu ein, die Reichtümer der Natur nicht einfach nur als selbstverständlich hinzunehmen, sondern einmal ganz bewusst auch auf die Dinge des täglichen Lebens zu achten. Im Getriebe des Alltags denken wir meist ja kaum über sie nach. Entdecken wir wieder ganz neu das Wunder des Wachsens und Werdens und beginnen zu staunen! Vielleicht können wir dabei sogar so etwas wie Dankbarkeit verspüren. Dankbarkeit - nicht zuletzt gegenüber dem Schöpfer allen Lebens. "Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand", hat Matthias Claudius einst gedichtet - es ist später ein gern gesungenes, fröhliches Erntedank-Lied daraus geworden.

Vor einiger Zeit allerdings hat dieses Fest allmählich an Bedeutung verloren. Mit dem Ende der agrarischen Kultur als "Leitkultur" schien ein jährliches Ernte-Gedenken - außerhalb von bäuerlichen Umgebungen - irgendwie obsolet zu werden: Was sollten etwa Großstadtkinder, die mit der Vorstellung aufgewachsen sind, dass alle Kühe lila wären, auch noch mit einem Ernte-Dank-Fest anfangen? Doch in jüngster Zeit hat sich das wieder merklich gewandelt. Wir sind sensibler geworden für ökologische Zusammenhänge. Umweltkatastrophen betreffen längst nicht mehr die Landwirtschaft allein, sondern uns alle. So können Klima und Wetter inzwischen sogar zu politisch relevanten Themen werden. Und damit ist auch der Bezug zum Ernte-Dank-Fest - jenseits aller Naturromantik - dem allgemeinen Bewusstsein wieder ein Stück näher gerückt.

Heute begreifen wir den Agrarbereich allerdings weniger als isolierten Einzelsektor, sondern verstehen ihn als einen Teil des großen Ganzen. Und so weitet sich auch der "Ernte"-Begriff automatisch ein Stück weit aus. Menschen fragen sich am Ende eines Sommers etwa: "Wie sieht meine persönliche life-balance dieses Jahres aus?" Andere ziehen kulturelle, wirtschaftlich oder politische Bilanz.

Nun: Eine Woche nach der geschlagenen Nationalratswahl wird das Urteil über die Frage nach der politischen Ernte dieses Jahres vermutlich recht differenziert ausfallen. Aber es geht bei dieser Frage nicht nur um österreichische Innenpolitik. Sofort fallen mir auch die vielen - mehr als kritischen - Situationen im Nahen Osten ein. Vor vier Wochen hätte ich noch keinen Cent auf eine einigermaßen friedliche Lösung im Syrien-Konflikt verwettet. Da schien es keine Gewinner, sondern nur mehr Verlieren zu geben. Viele Kommentatoren haben damals die zögerliche Haltung Obamas als Schwäche ausgelegt. Aber was die neue Achse zwischen Russland und den USA in den letzten 14 Tagen bewirkt hat, das grenzt fast schon an ein Wunder. (Ähnlich wie die noch recht ungewohnten Schalmaien-Klänge aus Teheran.) Ich zögere jedenfalls keine Minute, heute, wenn ich meine Hände falte, auch dafür von ganzem Herzen "Danke" zu sagen.

Ich weiß schon: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Noch ist vieles offen. Und am heutigen Ernte-Dank-Tag sollen ja die Schatten des vergangenen Jahres durchaus ihren gebührenden Platz erhalten. Trotzdem finde ich: Die Kategorie der Dankbarkeit ist es gleichermaßen wert, wieder einen ganz neuen Platz in unserem Leben zu bekommen - und zwar im Kleinen genauso wie im Großen.

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