Zwischenruf

von Dr. Christoph Weist (Wien)

"Großmachtgehabe" - Treue gegen Kaltschnäuzigkeit


Die Krim ist heute ein Bestandteil der Russischen Föderation. Großmachtgehabe geht kaltschnäuzig vor Völkerrecht. Das ist nicht neu. In der Bibel, im 2. Buch der Könige, liest sich das so:

"Zu seiner Zeit zog der Pharao Necho, der König von Ägypten, herauf gegen den König von Assyrien an den Strom Euphrat. Und der König Joschija zog ihm entgegen, aber Necho tötete ihn in Megiddo, sowie er ihn sah." (2. Könige 23, 29)
Ganze zwei hebräische Textzeilen benötigt der alttestamentliche Geschichtsschreiber, um zu schildern, wie Große mit Kleinen umgehen.

Im Jahr 609 vor Christus hatte sich Pharao Necho II. aufgemacht, um sich in einem Feldzug gegen das zusammenbrechende Assyrische Reich ein Stück aus der Konkursmasse zu sichern. Auf dem Marsch von Ägypten ins Zweistromland stellte sich ihm der König des Kleinstaates Juda, Joschija, in den Weg, um den Durchzug durch sein Land zu stoppen. Ob es in Megiddo im heutigen Nordisrael zu einer Schlacht gekommen ist, ist ungewiss. Jedenfalls muss Necho der Person des Königs irgendwie habhaft geworden sein und ihn getötet haben. Damit hatte Juda verloren.

"Aber Necho tötete Joschija sowie er ihn sah." Da bedurfte es keines Bruchs eines Völkerrechts, da brauchte es keinen angeblichen Hilferuf angeblich unterdrückter Volksgenossen. Da war es egal, dass mit dieser brutalen Aktion das politische und religiöse Reformwerk eines beliebten Königs jäh abgebrochen wurde. Necho war der neue Herrscher über den syrisch-palästinensischen Raum, von "Sanktionen" war keine Rede. Dass er dann gegen die Nachfolger der Assyrer, die Neubabylonier, militärisch versagt hat, steht auf einem anderen Blatt. In Joschija dagegen sahen die alten Chronisten den letzten bedeutenden König Judas, das Urbild des frommen Herrschers.

Und hier sahen sie auch den Sinn der Ereignisse. Es war die absolute Treue zu dem einen Gott, für die dieser König in seinem religiösen und poltischen Handeln gestanden hatte. Eine Treue, die die gesamte Geschichte der Menschen trägt.

Die Konzepte der großen Mächte mögen mit Gewalt über die politischen und sozialen Vorstellungen der kleinen drüberfahren: "Aber Necho tötete Joschija sowie er ihn sah." Sie mögen sie bestenfalls scheindemokratisch vereinnahmen: "Eine Volksabstimmung zeigt, dass ihr eh zu uns gehört!" Die jüdisch-christliche Tradition kennt einen Gegenentwurf: Die Treue Gottes zu dem, was er geschaffen hat und erhalten will. Dieser Treue entspricht auf der anderen Seite die Treue der Menschen zu Gott. Zu dem Gott, von dem der Lobgesang der Maria singt: "Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen." (Lk 1,51f).

Dieser jüdisch-christliche Diskussionsbeitrag zur Frage des Großmachtgehabes bedeutet eine harte Aufgabe. Treue heißt unerbittlich dranbleiben beim kritischen Beobachten all dessen, was die Mächtigen mit den Schwachen, die Großen mit den Kleinen machen. Treue heißt, das Gespräch suchen, aber nichts zerreden, sondern das Unrecht beim Namen nennen trotz aller wirtschaftlichen und politischen Rücksichten. Auch wenn damals Juda an Ägypten fiel und heute möglicherweise das Gas aus Russland teurer wird (wobei dies eine Frage an unsere Energiepolitik ist). Treue heißt, sich im Kleinen und im Großen an das Denken von unten nach oben gewöhnen, die Froschperspektive nicht scheuen. Denn es sind die Kleinen, auf deren Seite Gott steht.

Das war die Treue, für die Joschija, der König eines Kleinstaates, starb. Wer will, kann noch heute ausführlich von ihm lesen. Von Necho, dem König eines Großreiches, findet man nur zwei Zeilen.

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