Hörbilder

Der Freiheit eine Gasse. Der Wiener Journalist Benjamin Kewall und sein Revolutionstagebuch aus dem Jahr 1848. Von Günter Kaindlstorfer

In den letzten Oktobertagen des Jahres 1848 hat Wien ihn ausgeträumt, den Traum von Freiheit, Verfassung und Demokratie. Die Truppen des Feldmarschalls Alfred I. Fürst Windischgrätz stürmen die Hauptstadt des Habsburgerreichs und machen den revolutionären Hoffnungen der Bürgerinnen und Bürger den Garaus. 2000 Tote und zehntausende Verwundete fordert die Oktoberschlacht um Wien. Ein Rachefeldzug der kaiserlichen Kräfte beginnt, mit Massenverhaftungen, Hinrichtungen und der rücksichtslosen Wiedereinsetzung absolutistischer Herrschaftsprinzipien, samt Zensur und Spitzelwesen.

In diesen schicksalsschweren Tagen führt der jüdische Journalist Benjamin Kewall penibel Tagebuch. Kewall berichtet in seinem Diarium von den demokratischen Träumen der Revolutionäre und ihrem jähen Zusammenbruch, von hitzigen Debatten im Reichsrat und blutigen Barrikadenkämpfen, vom Ausbruch der Cholera, dem revolutionären Engagement der Frauen und der miserablen Qualität des Kaffees in den Wiener "Caffeehäusern".

Ebenso abenteuerlich wie der Inhalt des Kewallschen Tagebuchs ist aber auch die Geschichte des Manuskripts selber. Im März 2003 zieht ein Angestellter des Altstoffsammelzentrums Bad Zell im oberösterreichischen Mühlviertel eine anonyme Handschrift in hebräischer Kursivschrift aus dem Müll. Auf Umwegen gelangt das Manuskript in die Hände von Gottfried Glaßner, dem Bibliothekar des Stiftes Melk. Glaßner - des Hebräischen mächtig - erstellt ein erstes Transkript und übergibt es dem "Institut für Jüdische Geschichte Österreichs" in St. Pölten. Dort macht sich der Historiker Wolfgang Gasser ans Werk und identifiziert im Zuge seiner Recherchen den Verfasser des revolutionären Tagebuchs: den Hauslehrer und späteren Journalisten Benjamin Kewall, der die Wiener Ereignisse 1848/49 anschaulich dokumentiert hat.

In Günter Kaindlstorfers "Hörbild" wird das revolutionäre Wien des Jahres 1848 wieder lebendig. Renommierte Historiker wie Wolfgang Häusler, Ernst Bruckmüller, Siegfried Mattl und Wolfgang Maderthaner bewerten die Bedeutung von Kewalls Tagebuch vor dem Hintergrund der aktuellen 1848-Forschung.

Service

Bibliothek:
Benjamin Kewalls Revolutionstagebuch aus den Jahren 1848/49 ist, herausgegeben von Wolfgang Gasser, unter dem Titel "Erlebte Revolution" im Böhlau-Verlag erschienen.

Die Musik zu diesem Feature stammt aus der Produktion "Der Staat ist in Gefahr - Lieder zur Wiener Revolution 1848" - einer Koproduktion des Labels "Extraplatte" mit dem "Wiener Volksliedwerk".

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