Groteske, Mythos und Märchen

Die Geschichte der Wapshots

Vor mittlerweile 15 bis 20 Jahren hat die amerikanische Literatur ihren Siegeszug im deutschsprachigen Raum angetreten. Mit John Cheever wird nun ein weiterer klassischer amerikanischer Autor des 20. Jahrhunderts bei uns eingeführt.

Die Mitglieder der Wapshot-Familie leben an der amerikanischen Ostküste. Der Stammbaum der Wapshots weist durch Seefahrt reich gewordene Abenteurer und Exzentriker auf, von ihrem Glanz lebt auch noch Leander Wapshot, Vater der Wapshot-Brüder Moses und Coverly und Ehemann Sarahs, mit deren Auftritt bei der jährlichen Parade zum Unabhängigkeitstag der Roman beginnt.

Was die Größe dieses Romans ausmacht, ist die Überhöhung des Familienplots, die Überhöhung der realistischen Schilderungen unterschiedlicher Milieus. Die detailgenaue Beschreibung des Lebens in der Provinz, in den Großstädten Boston und New York und in den künstlichen Siedlungen rund um amerikanische Raketenabschussbasen ist von Anfang an von einem mythischen Unterstrom erfasst.

Starke Frauen, zarte Männer

Man mag an die Odysse denken, wenn die Wapshot-Brüder in die Welt hinausziehen, dort viele Abenteuer zu bestehen haben, um schließlich mit Frau und Kind heimzukehren in das Vaterhaus - wobei das Vaterhaus und die Vaterstadt eigentlich von den Frauen beherrscht werden. Man habe es nicht leicht als Mann, sich dort zu behaupten, heißt es einmal.

Die Brüder geraten durchwegs an Frauen, denen sie nicht gewachsen sind, die sie nicht ganz verstehen. Die Frauen sind zu kompliziert für ihren starken Sexualtrieb, umgekehrt sind die Männer psychisch schwach.

Was für ein zartes Wesen ist doch ein Mann. Auch wenn er ständig schwadroniert oder sich zwischen den Beinen kratzt, kann schon ein Tuscheln seine Seele in Asche verwandeln.

Alles Sonderlinge

Cheever begleitet die Probleme seiner Helden mit unvergleichlicher Ironie. Als Coverly homosexuelle Neigungen an sich entdeckt, schreibt der Erzähler:

Er starrte durchs Fenster auf die Landschaft und suchte darin inbrünstig nach einem Fetzen anwendbarer, ersprießlicher Wahrheit, erblickte jedoch nur die düsteren Prärien der amerikanischen Sexualerfahrung, in der noch die Büffel umherziehen.

Und sein Bruder Moses muss in seiner märchenhaft-schwierigen Liebesgeschichte über die Dächer eines abgewrackten amerikanischen Schlosses klettern, um ins Bett seiner ebenso märchenhaft schönen Geliebten zu gelangen. Weil schon alles so kompliziert ist, beschließt Moses, seine Klettertour völlig nackt zu beginnen. Die Wapshots sind alle ziemliche Sonderlinge.

Die Einsamkeit des Kleinbürgers

Parodie, Ironie, Satire auf der einen, Tragikomik, Groteske, Mythos und Märchen auf der anderen Seite machen "Die Geschichte der Wapshots" zu einem außerordentlich komplexen Roman. Nach einem ausladenden Beginn, in dem Cheever den Stammbaum der Wapshots in aller Breite vor uns ausrollt, schüttet er ein Füllhorn von Geschichten und Szenen vor den Lesern aus. Das ist höchst vergnüglich und sehr gut gemacht, weil Cheever die Integration in das Romanganze sehr wohl gelingt.

Das große Thema Cheevers ist die Einsamkeit des Kleinbürgers. Nicht nur deswegen wurde er als "suburbian Chekov", also als eine Art Tschechow der Vorstädte bezeichnet. Cheevers Figuren blicken buchstäblich in schwarze Löcher: Leander Wapshots Ein und Alles, der alte Kahn "Topaze", mit dem er Touristen herumschippert, geht in einem Sturm unter. Neben den vielen anderen das deutlichste Zeichen des Untergangs in diesem Roman.

Sie (Anm.: die Topaze) wirkte so verlassen und verloren, dass sie sich, wie die unauslöschlichen Legenden von vergrabenen Goldschätzen und im Meer versunkenen Städten, der dunkelsten Seite seiner Seele als ein Bild für die unermessliche Einsamkeit des Menschen einprägte.

Profunde Ratschläge

Hier ist er, der an Milieus und Dinge gebundene amerikanische Existenzialismus, in dem die Ausgesetztheit des Daseins sich in den wunderbaren Ratschlägen Leanders an seine Söhne spiegelt, die diese nach seinem Tod finden. Dazu muss gesagt werden, dass Leanders autobiografische Aufzeichnungen seines Lebens, geschrieben in einer in ihrer Kunstlosigkeit höchst kunstvollen Prosa aus kurzen Sätzen, die wichtigste Kontrastebene zur ironischen Distanziertheit des Erzählers bildet.

Bei Reisen in Staaten oder Länder mit Alkoholverbot nie Whiskey in Wärmflaschen schmuggeln. Schmeckt sonst nach Gummi. Vor dem Beischlaf immer die Hose ausziehen. (...) Zigarre nie rechtwinklig zu Fingern halten. Hinterwäldlerisch. Zigarre schräg halten (...) Genießt die Liebe einer sanftmütigen Frau. Vertraut auf Gott.

Dem ist wenig hinzuzufügen.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 29. April 2007, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
John Cheever, "Die Geschichte der Wapshots", aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel, Dumont Verlag, ISBN 978-3832180072