Zum 100. Geburtstag von Fred Zinnemann

Treue zu sich selbst

Der Edelwestern "Zwölf Uhr mittags" machte den Sohn einer jüdischen Arztfamilie 1952 weltberühmt: Der exilierte Wiener Fred Zinnemann hat so etwas wie "sozialdemokratischen Realismus" in die Scheinwelt Hollywoods gebracht.

Der Edelwestern "Zwölf Uhr mittags" machte Fred Zinnemann zum Weltstar. Bis heute gilt die packende Parabel rund um den von Gary Cooper verkörperten "Lonesome Marshall" als eines der wenigen Hollywood-Gesamtkunstwerke, vergleichbar allenfalls mit "Casablanca" und dem Judy-Garland-Musical "The Wizard of Oz".

"Eine Geschichte, die immer wieder passiert"

Der gebürtige Wiener Fred Zinnemann katapultierte sich mit "Zwölf Uhr mittags" jedenfalls in den Rang eines Hollywood-Klassikers. "High Noon" gilt bis heute als meisterhafte Studie über Feigheit, Kleinmut, politischen Opportunismus. Manch einer wollte in dem perfekt choreografierten Western eine Allegorie auf den McCarthyismus sehen - Zinnemanns Drehbuchautor Carl Foreman, selbst McCarthy-Opfer, hat diese Interpretation der Dinge offensiv vertreten.

Zinnemann selbst hat sich zeitlebens gegen diese Sichtweise verwahrt. "Für mich ist 'High Noon' mehr als nur eine Parabel auf tagespolitische Ereignisse", betonte er: "Es geht um einen Mann, der eine Gewissensentscheidung treffen muss. Seine Stadt sieht sich einer furchtbaren Bedrohung gegenüber - und mein Protagonist muss feststellen, dass sich unter den 'anständigen Bürgern' des Gemeinwesens kein einziger findet, der bereit ist, ihm zu helfen. Mein Held muss sich entscheiden: Läuft er davon, oder nimmt er seine Verantwortung wahr? Das ist eine Geschichte, die immer wieder passiert: jeden Tag, an jedem Ort dieser Welt."

Die moralische Verantwortlichkeit des Einzelnen

Der Einzelne und die Treue zu sich selbst - ein immer wiederkehrendes Sujet in Zinnemanns Arbeiten: Ob in der Anna-Seghers-Verfilmung "Das siebte Kreuz" (1944) oder dem mit Oscars überschütteten Humanisten-Drama "Ein Mann zu jeder Jahreszeit" (1966) - immer wieder variiert Zinnemann die Frage nach der moralischen Verantwortlichkeit des Einzelnen, sich selbst und der Gesellschaft gegenüber.

Zeigt er Zivilcourage, oder arrangiert er sich opportunistisch mit bestehendem Unrecht? Das ist die Frage, vor die sich Zinnemanns Protagonisten immer wieder gestellt sehen. In der Regel, und das darf man durchaus als Konzession an die kitsch-affinen Gesetze Hollywoods sehen, entscheiden sie sich für Ersteres.

Faible für politisch korrekte Stoffe
Die Kritiker des Regisseurs haben Zinnemann gerade das zum Vorwurf gemacht: seinen Hang zum Moralisieren, sein Faible für politisch korrekte Stoffe, die er mit sicherem Instinkt für die Gesetze des Mainstream-Kinos in Szene zu setzen vermochte. Den Filmen des gebürtigen Wieners fehle das Radikale, das Unberechenbare, das Einseitige, bemängeln Kritiker wie der "profil"-Publizist Stefan Grissemann, der Zinnemann grosso modo für einen "überschätzten Regisseur" hält.

Eine zugespitzte Sichtweise. Faktum ist: Fred Zinnemann hat das Hollywood-Kino der 1940er, 1950er und 1960er Jahre mit einer spezifischen Form des "sozialdemokratischen Realismus" bereichert, wobei er sich auch neorealistische Experimente gestattete wie in "The Search - Die Gezeichneten", oder Ausflüge in den "Film Noir", wie in "Act of Violence", einem sinistren Rache-Melodram aus dem Jahr 1949, das viele - auch Zinnemann-Skeptiker - für seinen besten Film halten.

Pflichtfilme und Mittelmaß

Zwei Dutzend Spielfilme hat Fred Zinnemann im Lauf seines Lebens realisiert. Darunter ist handwerklich perfektes Mittelmaß wie das spanische Bürgerkriegs-Drama "Deine Zeit ist um", auch schlicht Misslungenes wie die langatmige Musical-Verfilmung "Oklahoma".

Ein halbes Dutzend Zinnemann-Filme aber - "High Noon", "Act of Violence", "Geschichte einer Nonne", "Der Schakal", vielleicht auch "Julia" - lassen das Aufsuchen einer Videothek auch zehn Jahre nach dem Tod des Regisseurs als dringend geboten erscheinen.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Donnerstag, 26. April, 9:30 Uhr

Link
IMDb - Fred Zinnemann