Raffinierter Wien-Roman

Stadt der Verlierer

In ihrem neuesten Buch bedient sich Lilian Faschinger, die bekannt dafür ist, für jedes ihrer Bücher einen eigenen Tonfall zu finden, des Genres des Kriminalromans. Sie tut dies mit einer Empathie, die der einer Patricia Highsmith um nichts nachsteht.

Lilian Faschinger gehört seit mehr als 20 Jahren zu den Fixgrößen der österreichischen Literatur und hat es trotzdem geschafft, gleichzeitig ein Geheimtipp zu bleiben. Vielleicht liegt das daran, dass sie, wie Anton Thuswaldner sagt, für jedes Buch einen eigenen Tonfall findet, dass sie ihre Geschichten erzählt, ohne in Erklärungsideologien zu verfallen. Diese Qualität erfordert vom Rezipienten, sei es dem Leser, sei es dem Kritiker, sich ohne vorgegebenes Interpretationsschema auf einen neuartigen Text und seine schöpferischen Tücken einzulassen.

In der Haut eines Mannes

Als vor mehr als 20 Jahren Hedwig Moser, die austro/iranische Heldin aus Faschingers erstem Roman "Die neue Scheherazade", auszog, um sich von Christo verpacken, Tom Waits begleiten und Clint Eastwood vergewaltigen zu lassen, war die literarische Welt perplex. Hier debütierte eine Autorin, die mit allen Wassern der Moderne und des Feminismus gewaschen war, aber nichts konnte ihr die Lust - schon gar nicht die Fabulier-Lust - verderben. Erzählen und Schreiben fungierten als Überlebensmittel für ein weibliches Ich, das um seine Identität kämpft.

In ihrem neuesten Buch, "Stadt der Verlierer", in dem sich die Autorin virtuos des Genres des Kriminalromans bedient, schlüpft sie arbeitshypothetisch erstmals in die Rolle eines männlichen Mörders und sie tut es mit einer Empathie, die der einer Patricia Highsmith um nichts nachsteht. Hier geht es nicht um die Aufdeckung eines Kriminalfalls, hier geht es um die Darstellung einer psychotischen Persönlichkeit, die von der Wucht ihrer Aggressionen selbst überrascht wird.

Der Zufall bringt alles ins Rollen

Matthias Karner, der Icherzähler ist um die 30 und lebt von Gelegenheitsjobs, sowie dem Sehnsuchtspotenzial reiferer Frauen. Auch wenn sich diese Frauen über seine Motive keine Illusionen machen, schätzen sie sich glücklich, wenn er bei ihnen wohnt. "Altgebärende" nennt er sie verächtlich und ist froh, wenn sie ihn finanzieren und den Mund halten. Seine stickige Absteige in einem Wiener Durchhaus braucht er also nur dann, wenn ihn gerade eine Dame vor die Tür gesetzt hat. Oder wenn ihm etwas ganz Unerwartetes passiert. Das kann in Krimis vorkommen.

Matthias Karner stößt ganz zufällig auf eine junge schöne Frau, die frühmorgens im Lainzer Tiergarten liegt. Den Wildschweinen gefällt das Schneewittchen im Tiefschlaf genauso gut wie ihm. Leider geht ein Gestank von der Märchenfigur aus, der so gar nicht zu dem makellosen Körper und der anmutigen Erscheinung passt. Matthias verhindert den endgültigen Erfolg des Selbstmordversuchs, sie besucht den ungebetenen Retter in seiner verwahrlosten Kammer und alles könnte gut gehen, wäre da nicht ein Trauma, auf das sie ihn unbewusst stößt.

Das Schicksal nimmt seinen Lauf

Emma, die in ihrem früheren Beruf als Altertumswissenschaftlerin Studenten mit einer Vorlesung zum Thema "Alexander der Große: ein typischer Vertreter des Machismo?" traktiert hat, ist gerade erst dabei, ihr Detektiv-Büro im ehemaligen Friseurgeschäft ihres Gehilfen Mick einzurichten, als sie ein lukrativer Auftrag ereilt. Sie soll einer Mutter den Sohn wiederfinden, den diese vor drei Jahrzehnten zur Adoption frei geben musste. Dass der Sohn Mathias Karner heißt und auf diese Weise nicht nur eine Mutter bekommt, die er nicht mehr will, sondern auch von einem glücklicheren Zwillingsbruder erfährt, von dem er nichts wusste, bringt das nicht ganz wahrscheinliche, aber bravourös erzählte Drama in Gang.

Die raffinierte Weise, auf die Lilian Faschinger die Ebene des Psychokrimis mit der eines hochkomischen Wien-Romans schneidet, macht zusätzlich zum spannenden Plot den Reiz dieses facettenreichen Romans aus.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Lilian Faschinger, "Stadt der Verlierer", Hanser Verlag, 2007, ISBN 978-3446208179