Eine verrückte Familie
Hundsköpfe
Über 100 Jahre berstend komischer und tragischer Familien-Schicksale sind in Morten Ramslands Roman versammelt. "Hundsköpfe" ist ein Sperrfeuer von Bildern, eine Geschichte, die von Ururgroßvater Rassmus, dem Raffzahn, bis zu Asgar, dem Maler, reicht.
8. April 2017, 21:58
Er könnte als schnellster Roman der Gegenwart durchgehen, als Drei-Generationen-Geschichte im Fast-Backward-Verfahren, ein literarischer Galopp rückwärts: "Hundsköpfe". Diese Saga der wilden skandinavischen Sippe der Erikssons, dieses Panoptikum aus verunglückten, missratenen, süchtigen und insbesondere sehnsüchtigen Menschen.
Über 100 Jahre Schicksale
Morten Ramsland, 35-jähriger Däne, dessen geruhsames Familienleben - Frau und zwei Kleinkinder in Aarhus - vom Erfolg des Romans "Hundsköpfe" abrupt beendet wurde, reist seit eineinhalb Jahren mit dem Buch durch die Welt und gibt Interviews. Es macht fast ein wenig fassungslos, da von ihm zu hören, dass er beim Schreiben seines aktuellen Action-Romans Musik von Tom Waits und Leonhard Cohen hörte.
"Hundsköpfe" ist beileibe anders als diese Musik, ein Sperrfeuer von Bildern, eine Geschichte, die von Ururgroßvater Rassmus, dem Raffzahn, über Großvater Askild, dem Schiffsbauingenieur, der im KZ zerbricht, bis zu Asgar, dem Erzähler und Maler, reicht. Über 100 Jahre berstend komischer und tragischer Familien-Schicksale sind da versammelt. Man wünscht sich bei all der Rasanz zur Orientierung einen Stammbaum, wie er manchmal russischen Klassikern vorangestellt ist, weil so viel Personal das Kurzzeitgedächtnis arg strapaziert.
Niels mit den Riesenohren
Askild, die Hauptfigur, ist ein saufender Tyrann, der kubistische Bilder mit Titeln wie "Der Vandale sitzt im Briefschlitz fest" malt und dessen Schiffsbaupläne zunehmend vom Kubismus unbrauchbar gemacht werden. Das heißt, Askil ist öfter mal arbeitslos. Er malt "Menschen, die zerfielen, Menschen, die aus dem Gleichgewicht geraten waren oder mit Gebäuden und Schiffen in einem Inferno von Brüchen und scharfen Kanten zusammenwuchsen", heißt es bei Ramsland.
Sohn Niels wird mit Riesenohren geboren und von den Nachbarsbuben mit Schlammbehandlungen traktiert. Dann gibt es da noch Niels' behinderte, aber sexuell sehr aktive Schwester Anne-Katrine, genannt "die dicke Trutsche", die tätowierten Seefahrer Appelkopp und Knut, Asgars Schwester Stinne, seine betörende Cousine Signe und viele viele andere.
"Es gibt eine Menge Parallelen zwischen der Familie Eriksson und meiner Familie, aber es war mir immer klar, dass alle biografischen Tatsachen nie zu einer Zwangsjacke für den Roman werden dürfen", erzählt Ramsland.
Mischung aus Erinnerung und Erfindung
Bevor Morten Ramsland "Hundsköpfe" schrieb, war seine Großmutter die Bewahrerin der Familiengeschichte. Sie starb kurz vor Erscheinen des Buches, das ihr vielleicht an einigen Stellen zu indiskret gewesen wäre, meint der Autor. Er hat mit "Hundsköpfe" seine Version der Familiengeschichte erzählt, eine Mischung aus Erinnerung und Erfindung.
"Das wahre Leben ist meist eine vermurkste, schlammige Angelegenheit, weswegen viele Menschen das Bedürfnis haben, klare erzählerische Strukturen in ihrem Leben zu entdecken". Meint Ramsland. "Eine gute Geschichte zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Dinge sehr viel klarer erscheinen lässt als sie es im wahren Leben sind."
"Ohne Erinnerung", schrieb der französische Dichter Paul Valéry, "wäre das Bewusstsein ein Chaos, ein unerträglicher Schmerz - ein ewiger Anfang." Aber mit einer Erinnerung, wie Asgar sie hat, an besoffene Opas, traurige Mütter, gescheiterte Raffzähne und abgestürzte Väter, lebt es sich auch nicht eben leicht. Jedoch: Es gibt eine Menge unterschiedlicher Geschichten, die aus einem einzigen Leben kommen können und jeder hat die Freiheit, seine Version zu erzählen.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Morten Ramsland, "Hundsköpfe", aus dem Dänischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg, Schöffling Verla, ISBN 978-3895614200