Ist die Gleichstellung zum Mann nur Bekenntis geblieben?

Was bringt die EU den Frauen?

In den EU-Gründungsverträgen wurde der Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" festgeschrieben. Seither wird bei jeder Gelegenheit das Grundsatzbekenntnis zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen betont. Blieb es beim Bekenntnis?

Meinungen zu Geburtenrückgang und Kinderbetreuung

Der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ist 50 Jahre alt und wurde 1957 im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft festgeschrieben. In den folgenden Jahrzehnten hat sich die EU immer wieder die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau zum Ziel gesetzt.

Welche Auswirkungen hat diese Gleichstellungspolitik der EU auf das Leben und den Arbeitsalltag der Frauen im neuen Europa bis dato gehabt? Wo kommen Frauen wirklich voran? Und wo kommen sie zu kurz?

Politisch auf dem Vormarsch

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel führt derzeit die Europäische Union an. Mit Ségolène Royal bewirbt sich in Frankreich eine Frau für das höchste Staatsamt, die erstmals in der Geschichte des Landes eine reelle Chance hat, gewählt zu werden. Europas Frauen scheinen also zumindest auf politischem Parkett auf dem Vormarsch zu sein.

In gesellschaftlicher Hinsicht sei allerdings noch viel zu tun, meint die österreichische EU-Parlamentarierin Agnes Schierhuber. Es reiche jedenfalls nicht nur, einmal pro Jahr - etwa am Internationalen Frauentag - das Scheinwerferlicht auf die Frauen in der Gesellschaft zu richten. Vor allem die Anerkennung der Gesellschaft, dass Frauen oft viele Rollen gleichzeitig übernehmen, sei wichtig. Dass heutzutage nach wie vor die Forderung nach gleichem Gehalt für gleiche Arbeit gestellt werden müsse, sei jedenfalls kein Ruhmesblatt für die EU.

Wirtschaftliche Ungleichheiten

Auch die Schweizer Politologin Regula Stämpfli bestätigt, dass die Position der Frauen in der EU nach wie vor zu wünschen übrig lasse. Vor allem in den wirtschaftlichen Entscheidungsinstanzen diverser EU-Institutionen wie etwa der Europäischen Zentralbank, in der eine Frau 16 Vorstandsmitgliedern und einem Präsidenten gegenüberstehe, oder des europäischen Investitionsfonds, der ausschließlich von Männern besetzt sei, sei der Gleichberechtigungsgrundsatz nicht existent.

Die griechische Europaparlamentarierin und Mutter von neun Kindern, Maria Panayotopoulos, hält dem entgegen, dass die Europäische Gemeinschaft und später die Union doch immer wieder wichtige Impulse für die Gleichstellung von Mann und Frau im Arbeits- und Ausbildungsbereich gesetzt hätten; sie seien schon längst durch europäische Direktiven in diversen Nationalgesetzgebungen übernommen worden. Woran es hapere, sei die Umsetzung dieser Richtlinien.

Große Unterschiede in den einzelnen EU-Staaten

Zwischen öffentlichem Dienst und privaten Arbeitgebern gebe es vor allem im Süden Europas bei der Umsetzung der EU-Leitlinien große Unterschiede, meint Maria Panayotopoulos. So sei etwa in Griechenland der Staat als Arbeitgeber zwar korrekt, das Gros der privaten Arbeitgeber würde allerdings die sozialen Kosten etwa im Karenzfall nicht tragen. In Italien, Spanien, Portugal oder Zypern gibt es ähnliche Probleme; ganz zu schweigen bei den neuen EU-Ostblockländern wie Bulgarien oder Rumänien.

Die skandinavischen Länder hätten da einen großen Vorsprung, meint dazu Agnes Schierhuber. Sie hätten schon über Jahrzehnte hinweg kulturelle Gleichstellung praktiziert. Auch Österreich könne sich heute sehen lassen. Als Beispiel nennt sie dazu das Betreuungsystem in ihrer Heimat Niederösterreich. Hier sei am Vormittag die Kindergarten-Betreuung von Kindern ab drei bis sechs Jahren kostenlos. Auch selbstständige Frauen im Gewerbe, Bäuerinnen oder Studentinnen seien durch Mutterschutz und Karenz abgesichert.

Das Gender Mainstreaming

Der Versuch, die Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen durchzusetzen, - das so genannte Gender Mainstreaming - ist nach den Worten der Schweizer Politologin Regula Stämpfli bis jetzt allerdings sehr erfolgreich gewesen, vor allem in allen öffentlichen Verwaltungen, auch in den Mitgliedsländern, die sich bisher noch nicht so sehr durch starke Gleichstellungspolitik ausgezeichnet haben. Auch an den Universitäten und im Forschungsbereich seien jetzt weit mehr Frauen präsent.

Dennoch sieht sie beim Gender Mainstreaming einen negativen Nebeneffekt. Die vermehrte Präsenz an Frauen etwa im Gesundheitswesen bringe nämlich - so Stämpfli - strukturelle Veränderungen in punkto Lohnfragen und Ansehen dieser Berufe mit sich. Außerdem seien einzelne gesellschaftliche Bereiche - besonders in der Privatwirtschaft, also in der Investitionspolitik und in den europäischen Medien - unberührt geblieben und krass durch eine ökonomische und kulturelle Diskriminierung der Frauen gekennzeichnet, betont Stämpfli.

Positive EU-Impulse für Frauen

Wichtige EU-Entscheide zugunsten vieler Frauen gab es hingegen in Sachen Dienstleistungsrichtlinie. So hätten etwa tschechische Pflegerinnen, die in Österreich arbeiten, nicht nach österreichischen, sondern nach tschechischen Standards beschäftigt werden können. Davon wären weibliche Arbeitskräfte besonders stark betroffen gewesen, wenn sie - etwa im Fall einer Schwangerschaft - auf angemessene Sozialleistungen angewiesen gewesen wären. Doch diese Dienstleistungsrichtlinie fand im EU-Parlament keine Mehrheit.

Auch die Voraussetzungen für Frauen, die Kinder und eine Karriere wollen, sind noch nie so gut wie heute: 58 Prozent der Hochschulabsolventen in der EU sind weiblich. Bildung und Bewusstsein seien das A und O, sagt Agnes Schierhuber, die sich von der Facharbeiterin zur Politikerin hochgearbeitet hat: "Für Frauen ist es unverzichtbar, die beste Ausbildung zu haben, weil man darauf immer wieder neu aufbauen kann."

Osteuropäische Frauen benachteiligt

Während beispielsweise in Schweden, Lettland und Litauen der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der privaten Wirtschaft sehr hoch ist, sieht das in einzelnen osteuropäischen Ländern ganz anders aus. Insgesamt gibt es dort zwar viele gebildete Frauen, die jedoch heute immer noch 25 Prozent weniger als Männer verdienen. So kämpfen sich ehemalige Sprachlehrerinnen und Chemieingenieurinnen heute noch für wenig Geld durch die Schattenwirtschaft. Viele sind froh, wenn sie einen Job in einer Nähfabrik in ihrem Land bekommen. Andere reisen als Touristinnen getarnt nach Westeuropa und verdienen ihr Geld im Rotlichtmilieu.

Länder wie Bulgarien oder Rumänien werde der EU-Beitritt helfen, um Korruption, Misswirtschaft und Ausbeutung wenn nicht ganz zu beseitigen, so doch zumindest zu lindern, meint dazu Regula Stämpfli. Man brauche ökonomisch gleiche Voraussetzungen; sehr wichtig seien auch die historischen Erfahrungen hinsichtlich Frauen als definitionsstarke Subjekte, die nicht nur quantitativ, sondern auch inhaltlich - also in der Kultur und vor allem in den Medien - präsent seien, und dann brauche es eine Aufbruchsstimmung, die vor allem Frauen zugute komme, betont die Politologin.

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Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 21. März 2007, 18:25 Uhr

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