
FELIX BROEDE
Salzburger Festspiele 2025 live
Henze: Das Floß der Medusa
ORF Radio-Symphonieorchester Wien; Chor des Bayerischen Rundfunks; WDR Rundfunkchor; Dirigent: Ingo Metzmacher. Kathrin Zukowski (La Mort), Georg Nigl (Jean-Charles), Udo Samel (Charon)
Hans Werner Henze: Das Floß der Medusa - Oratorium für Sopran, Bariton, Sprechstimme, gemischten Chor und Orchester (Live-Übertragung aus der Felsenreitschule Salzburg)
18. Juli 2025, 19:00
"Tiefsinniger kann eine Ouverture spirituelle, wie die erste Salzburger Festspielwoche seit Langem heißt, kaum beginnen", schreibt Wilhelm Sinkovicz in einer Ankündigung dieses Konzerts mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und führender Rundfunkchöre Deutschlands unter Ingo Metzmacher. Der "Presse"-Kritiker bezieht sich dabei auf den Inhalt von Hans Werner Henzes "Das Floß der Medusa". Denn das zweiteilige Werk sei ein "Aufruf zur Humanität".
Erzählt wird in diesem "Dokumentar-Oratorium" die Geschichte eines Schiffsbruchs. Die französische Fregatte "Méduse" läuft 1816 vor der Küste Westafrikas auf Grund. Nicht für alle Passagiere waren Rettungsboote vorhanden. Ein eilig zusammengezimmertes Rettungsfloß mit etwa 150 Menschen wird von den privilegierten Passagieren und Besatzungsmitgliedern in ihren vergleichsweise sicheren Rettungsbooten Steuer- und Segellos in Stich gelassen. Zwölf Tage treibt das Floß ziellos umher, nur 15 Menschen können lebend vom Floß geborgen werden, fünf davon sterben wenig später, darunter Jean-Charles. Die Tagebuchaufzeichnungen des afroeuropäischen Seemanns bilden die Grundlage des Librettos von Textdichter Ernst Schnabel.
Die Uraufführung des Oratoriums am 9. Dezember 1968 in Hamburg wird zu einer der großen Konzert- und Radioskandale der Musikgeschichte. Die Stimmung wurde in den Tagen vor der geplanten Uraufführung von der deutschen Presse aufgeheizt. Die Anspannung einer politisch aufgeladenen Zeit entlädt sich schließlich schon vor Beginn des Konzerts: Eine Gruppe von Studierenden bringt ein Che-Guevara-Poster und eine rote Fahne am Podium an. Als sie abmontiert wird, sind Tumulte die Folge, die Polizei greift mit übermäßiger Härte ein. Der NDR unterbricht nach 15 Minuten die Live-Übertragung der Schreiduelle und Sprechchöre und spielt die Aufzeichnung der Generalprobe für sein Radiopublikum ab.
Aus diesem Grund erfuhr dieses Werk eine "Ursendung" an eben jenem 9. Dezember 1968 - die Uraufführung erfolgte im Januar 1971 im Wiener Musikverein. Heute hat das Thema der bewusst zurückgelassenen Schiffbrüchigen neue Aktualität erlangt: Laut der globalen Datenbank Statista sind seit 2014 rund 32.000 geflüchtete Menschen im Mittelmeer ertrunken, allein im Jahr 2016 haben über 5.000 auf dem Seeweg nach Europa ihr Leben verloren, führt Walter Weidringer im Programmheft zu dieser Festspielproduktion an. Henzes Oratorium endet mit einem utopischen Moment. Der Erzähler Charon, Totenfährmann der Unterwelt, sagt: "Die Überlebenden aber kehrten in die Welt zurück: belehrt von Wirklichkeit, fiebernd, sie umzustürzen."
Diese Worte deklamiert in diesem Konzert Schauspieler Udo Samel in der Sprechrolle des Charon, Bariton Georg Nigl ist als Jean-Charles zu hören, Kathrin Zukowski gestaltet als Sopransolistin die Rolle der Allegorie des Todes (La Mort). Als Chöre der Lebenden und der Toten singen der Chor des Bayerischen Rundfunks und der WDR Rundfunkchor.
Sendereihe
Gestaltung
- Rainer Elstner
Übersicht
- Festspielsender Ö1
- RSO in Ö1