Oder: Warum ich ein Herz für Kantinenköche habe
Ich bin Kochkind
Kochen besteht ja im Wesentlichen darin, verschiedene Bestandteile zu verbinden, aus der Summe der Ingredienzien ein großes Ganzes zu machen. Das kann man beim Kochen für Kinder, vor allem beim Kochen für eine Kindergruppe gleich wieder vergessen.
8. April 2017, 21:58
Kochkind zu sein, ist manchmal bitter. Vorgestern zum Beispiel. Der Tag war wirklich schon arg lang, und als er dann abfällt von mir, auf dem Weg vom Bad ins Schlafzimmer, fällt mir ein, dass ich verdammtnochmal Kochkind bin. Morgen. Das heißt eigentlich heute, weil, als es mir einfällt, ist es zwei Uhr früh.
Als Kochkind leidet man an keiner Krankheit, nur an gelegentlicher Missachtung. Ein Kochkind hat keine verbrannte Kindheit hinter, bestenfalls verbrannte Töpfe vor sich. Kurz, ein Kochkind ist ein Mensch, dessen Kind eine elternverwaltete Kindergruppe besucht. Die Kinder sollen sich verantwortlich fühlen fürs Essen, sollen bei der Auswahl mithelfen (immer: "Nudeln mit roter Souce"), beim Einkaufen (in der Regel: "Darf ich bitte, bitte Gummibärli"), beim Kochen, beim Aufdecken und bei der Auswahl des Essensspruchs. (meistens: "Muh, muh, muh, wie haben uns alle muh, guten Appemuh".)
Eine elternverwaltete Kindergruppe bedeutet Mitsprachemöglichkeit bei der Auswahl der Betreuungspersonen, bei den Grundregeln der Erziehung, bei der Gestaltung der Gruppenräume, Wäsche-, Putz- und eben auch Kochdienst. In meinem Fall jeden fünften Werktag. Für 11 Kinder und drei Betreuungspersonen. Klingt nach Großküche, ist es aber nicht wirklich, weil sie schicken ohnehin die Hälfte immer zurück. Das kann man nach ersten kränkenden Erfahrungen gleich bei der Mengenwahl berücksichtigen. Außerdem hilft die alte Tante-Jolesch-Einsicht, dass das Essen um so besser schmeckt, je weniger da ist.
So eine elternverwaltete Kindergruppe ist ein Organismus in beständiger Bewegung. Er atmet im Jahresrhythmus, wird mal größer, mal kleiner, mal mehr an Theaterbesuchen, dann mehr an Ausflügen, mal mehr an Montessori-Erziehung, dann wieder mehr an Rebecca Wild interessiert. Eines ist merkwürdigerweise ein Fixpunkt seit Jahren, und niemand weiß so recht wieso, weil die meisten sind damit irgendwie unzufrieden: das Essen.
Wir kochen vollwertig, ja, natürlich, vegetarisch, weil die Eltern einiger Kinder Fleisch zu essen, degoutant finden, wir verzichten auf Milchprodukte, weil einige Kinder Neurodermitis haben und Nudeln sind sowieso tabu, weil die gibt es sonst dauernd. Punkt. Ende der Debatte, sonst nehm ich mein Kind aus der Gruppe, und dann könnt ihr sehen, wie ihr mit den Beiträgen über die Runde kommt. Das schränkt ziemlich ein. Ich meine auch beim Kochen.
Meinen Einstand habe ich mit Gemüse-Maki gefeiert. Als echte Kinder der Wiener Bobo-Hochburg Neubau lieben mein Sohn und meine Tochter Maki. Weil Fisch im Fall einer vegetarischen Kindergruppe doch irgenwie auch Fleisch ist, mussten es also Karotten, gelbe Rüben, Avocados und Gurken sein. Gegessen hat es niemand. Mit dem ersten "wwwwwwwäääääääähhhhhhh" war das Verdikt gefällt, nicht einmal meine Kinder, die brav mitgekocht haben, waren als Frischlinge dann noch mutig genug, das Essen in der Gruppe zu verteidigen. Immerhin, beim Elternabend, der am gleichen Tag stattfand, hatte ich einen guten Stand mit dem Essen.
Kochen besteht ja im Wesentlichen darin, verschiedene Bestandteile zu verbinden, aus der Summe der Ingredienzien ein großes Ganzes zu machen, das mehr ist als Tomaten, Mehl und Eier. Das kann man beim Kochen für Kinder, vor allem beim Kochen für eine Kindergruppe gleich wieder vergessen. Irgendein Kind findet sicherlich das sprichwörtliche Haar in der Suppe, das kann der Petersil auf den Erdäpfeln, die Erbse im Mischgemüse oder die Paradeisersauce auf den Nudeln sein, und dann kommt "wwwwwwwäääääääähhhhhhh" und schon finden das die anderen auch "wwwwwwwäääääääähhhhhhh" und alles geht zurück in die Küche.
Die Antwort auf diese kulinarische Gruppendynamik heißt modulares kochen. Der Mittagstisch als beliebig kombinierbares Büffet aus Einzelteilen. Und wenn man schon Zutaten aus geschmacklichen Gründen verbinden will, dann bitte so, dass es die lieben Kleinen nicht merken. Cremesuppe: ja, Minestrone: nein. Butterkarotten, Honigerbsen und Zuckermais in getrennten Schüsseln: ja, Mischgemüse: nein. Derzeit gehen am besten Linsen mit Knödel, Fisoleneintopf (eigentlich überraschend) und Spinatspätzle, die kocht Luisa, das ist die beste Freudin meiner Tochter.
Um zwei Uhr früh helfen diese Erkenntnisse allerdings wenig. Nicht, wenn man am nächsten Morgen arbeiten muss. Also habe ich in der Früh die Arbeit für zwei Stunden unterbrochen, um das Frühstück einzukaufen (Vollkornbrot, Rohkost, Obst, Müsli, Käse für die, die wollen) und habe beim Pizzadienst für 13:00 Uhr drei Familienpizzas geordert. Natürlich waren die weg, wie nix. Auch einem Kochkind tut es ab und an gut, für seine Arbeit geliebt zu werden.