Schriftsteller und Experimentalphysiker

Georg Christoph Lichtenberg

"Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, so kann freilich kein Apostel heraus sehen", so schrieb Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), der als der Begründer des Aphorismus gilt und der sich auch als Physiker einen Namen gemacht hatte.

Es muss ein bizarrer Anblick gewesen sein, der im Herbst 1783 so manchem Besucher im Hause des Göttinger Universitätsprofessors Georg Christoph Lichtenberg zuteil wurde. Ein seltsames, kugelförmiges Objekt schien dem Wissenschafter auf Schritt und Tritt zu folgen, es schwebte hinter ihm her und musste, so vermerkte Lichtenberg, "allen Leuten, die es sahen, notwendig wie ein Gespenst" vorkommen.

Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich die unheimliche Erscheinung allerdings als "außerordentlich große Schweinsblase", mit der Lichtenberg herausfinden wollte, unter welchen Bedingungen man "große hohle Körper in die Luft aufsteigen" lassen könne, um damit "Leute auf eine große Höhe zu heben". Zur selben Zeit, wie die später berühmten Brüder Montgolfier in Frankreich, machte also auch Lichtenberg erste Ballonflugversuche.

Immer für eine Überraschung gut

Seine Sorge, "man könnte jemandem, der furchtsam wäre, mit einem solchen Ding den Tod an den Hals schrecken", war unbegründet. Längst hatte es sich weit über Göttingen hinaus herumgesprochen, dass Lichtenberg immer wieder mit allerlei kuriosen Experimenten und merkwürdigen Einfällen zu überraschen pflegte.

So etwa brachte er 1780 auf seinem Gartenhaus einen der ersten Blitzableiter Deutschlands an und erntete dafür zunächst vor allem Kopfschütteln und auch manche Anfeindungen - vor allem, nachdem er in verschiedenen Publikationen die Einrichtung von Blitzschutz an öffentlichen Gebäuden, vor allem Kirchen, forderte und dazu vermerkte: "Dass in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig".

Begründer der modernen Experimentalphysik

Schon bei seiner Antrittsvorlesung an der Universität Göttingen hatte Lichtenberg originelle Beweisverfahren eingesetzt. Sein Thema war die damals viel diskutierte Möglichkeit der Berechnung der Gewinnwahrscheinlichkeit bei Glücksspielen - und statt, wie sonst üblich, mit langen theoretischen Erörterungen ging er das Problem mit dem Werfen von Münzen nach dem "Kopf oder Adler"-Prinzip an.

Für seine Physik-Vorlesungen schaffte Lichtenberg auf eigene Kosten eine Apparatesammlung an - gemäß seinem Motto: "Ein physikalischer Versuch, der knallt, ist allemal mehr wert als ein stiller". Die Studenten waren von dieser damals noch vollkommen neuartigen Form der praktischen Unterweisung begeistert. Lichtenberg erwies sich damit als hervorragender Pädagoge und wurde zum Begründer der modernen Experimentalphysik.

Mit seinen vielfältigen Arbeiten in den Bereichen Astronomie, Mathematik und Physik - unter anderem schuf er mit den von ihm entdeckten "Lichtenbergschen Figuren" eine der Grundlagen der Xerokopie - machte sich Lichtenberg bald über Deutschland hinaus einen Namen als einer der führenden Naturwissenschaftler seiner Epoche.

Untersuchungen an Schwänzen

Weit weniger bewusst war den Zeitgenossen, dass der ebenso scharfsinnige wie scharfzüngige Gelehrte auch ein bedeutender Schriftsteller war. Zwar hatte er durch eine Reihe von kritisch-satirischen Schriften einiges Aufsehen erregt - so etwa in seiner Auseinandersetzung mit einem der Modethemen seiner Zeit, der Physiognomik.

Ausgehend von den Schriften des Schweizer Philosophen Johann Kaspar Lavater meinte man, dass man vom dem Aussehen und den Körperformen eines Menschen auf dessen Charakter schließen könne. Lichtenberg hatte sich durch derartige Thesen sicher persönlich verletzt gefühlt, denn infolge einer vermutlich angeborenen Rückgratverkrümmung war er "klein, höckericht, krumm an Füßen", ein, wie Zeitgenossen berichteten, "unansehnlicher Mann mit einem sehr dicken Kopf".

Auf Lavaters "Physiognomische Fragmente" antwortete er mit einer Parodie, dem "Fragment von Schwänzen", in dem er - ganz in der Diktion Lavaters - untersucht, welche Eigenschaften sich von Schweineschwänzen und den Perückenzöpfen von Studenten ablesen ließen.

Aus den "Sudelbüchern"

Breites Interesse fand Lichtenberg auch für die Berichte von seinen Englandreisen, mit denen er Vorformen des modernen Reisejournalismus schuf, und vor allem für seine aufklärerisch-satirischen Texte zu den Kupferstichen des englischen Malers William Hogarth, die er in dem von ihm mehr als zwei Jahrzehnte lang herausgegebenen "Göttinger Taschen Calender" veröffentlichte.

Jener Einfluss auf die deutschsprachige Literatur, den Lichtenberg bis ins 20. Jahrhundert ausüben sollte, setzte allerdings erst nach seinem Tod 1799 ein, als posthum seine umfangreichen Aufzeichnungen, die so genannten "Sudelbücher" publiziert wurden. Jahrzehntelang hatte Lichtenberg alles, was ihm auf- und eingefallen war, notiert: in prägnanten, pointierten Formulierungen - an die 10.000 Notizen, die ihm in der Literaturgeschichte den Ruf als "Begründer des deutschsprachigen Aphorismus" eintrugen.

Zahlreiche Schriftsteller beriefen sich auf ihn als Vorbild, einen besonderen Einfluss übte er auf Karl Kraus aus, und Kurt Tucholsky vermerkte: "Wer die Gewohnheit hat, in Büchern etwas anzustreichen, der wird seine Freude haben, wie sein Lichtenberg nach der Lektüre aussieht. Das Beste ist, er macht gleich einen einzigen dicken Strich, denn mit Ausnahme der physikalischen und lokalen Eintragungen ist das alles springlebendig wie am ersten Tag."

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 4. Jänner 2008, 22:15 Uhr

Link
gutenberg.de - Georg Christoph Lichtenberg