Psychogramm eines kakanischen Konservativen

Spionage für Österreich

Maximilian Ronge war Geheimdienstchef der k. u. k.-Armee, baute für Erste Republik und Ständestaat ein Agentennetz auf, kam ins KZ, werkte im Kriegsarchiv der Wehrmacht und nach 1945 für die USA und das junge Bundesheer.Ein Forschungsbericht von Zeithistorikern.

Ein Kurzresumee der Biografen über Max Ronge

An ihm kam vor 1938 kein Spion vorbei. Aber auch nach seiner Haft im KZ Dachau und nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte er in Geheimdienstkreisen einen klingenden Namen und baute gemeinsam mit den Amerikanern einen neuen Geheimdienst auf, der die Geschichte der österreichischen Nachrichtendienste entscheidend beeinflusste.

Welchen immensen Wert Geheimdienstchef Maximilian Ronge für Österreich hatte, das deckte nun das Historiker-Duo Hannes Leidinger und Verena Moritz in einer 400-seitigen Biografie auf, die dieser Tage im Residenz-Verlag erschienen ist. Auch Co-Autor Gerhard Jagschitz, ebenso Zeitgeschichtler und Enkel Ronges, hat bei den akribischen Nachforschungen vor allem in privater Hinsicht einen wesentlichen Beitrag für diese Forschungsarbeit geleistet.

Stockkonservativ, kaisertreu, ordnungsliebend

Gerhard Jagschitz erinnert sich an einen stockkonservativen k. u. k-Militaristen, der Operetten und Kino liebte, Tugenden wie Herzenswärme, Großmut, weltanschauliche Liberalität aber eher als menschliche Schwächen zu verachten schien: "Ihn hat das Formvollendete charakterisiert, mit Kindern konnte er überhaupt nicht umgehen", so der Zeitgeschichtler.

Fotos zeigen Maximilian Ronge als verkniffenen Gernalstäbler mit penibel gezwirbeltem Schnurrbart. Verena Moritz schildert ihn als einen Diener der Monarchen: "Zuerst Franz Joseph, dann Karl, dann auch Otto ... treu bis in den Tod. Und das ist er tatsächlich geblieben." Und Hannes Leidinger betont: "Max Ronge war das Inbild eines alt-österreichischen Offiziers, die realste Figur der Fiktion Kakanien - einer, der ganz real die alte Monarchie lebte." Und Jagschitz ergänzt: "Und das war eine Welt der Ordnung."

Papst des Geheimdienstwesens

Maximilian Ronge gilt als einer der führenden Reformer auf nachrichtendienstlichem Gebiet, ein Repräsentant autoritären Staatsdenkens, ein Vordenker des Überwachungsstaats, der mit demokratischem Gedankengut wenig bis nichts anzufangen wusste:

"Wenn man den Nachrichtendienst als eine Form der Informationsbeschaffung und der Desinformation versteht, dann glaube ich, dass mein Großvater der Erneuerer des modernen Nachrichtendienstes war. Ich habe im Laufe meines Lebens immer wieder ein paar Amerikaner, Engländer oder Franzosen kennen gelernt, die meinen Großvater gekannt und ihn als Papst des Geheimdienstwesens bezeichnet haben," sagt Gerhard Jagschitz.

In einer Welt von Uniformen

1874 in eine typische Militärfamilie hineingeboren, war seine militärische Laufbahn quasi vorgegeben. Und überall dort, wo er lernte - ob in der Volksschule in Ober St. Veit oder der Staats-Real-Schule Sechshaus oder an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt - ging er durch seine exzellenten Leistungen als Musterschüler hervor: "Er war immmer der Beste, immer nur Superlative", so Verena Moritz.

Nach dem Abschluss der Militärakademie meldet sich Leutnant Ronge in der Kriegsschule an - der Kaderschmiede des k.und k.-Generalstabs. Auch diese Etappe absolvierte er mit Bravour. Nach Jahren in Laibach und Graz startet Ronge als Mittdreißiger seine glanzvolle Militärlaufbahn in der Reichshaupt- und Residenzstadt und wird gleich Kundschaftschef, also zuständig für Spionageabwehr und für eigentliche Spionage.

Die Redl-Affäre

Im Mai 1913 hat Max Ronge eine der dramatischesten Bewährungsproben seiner Karriere zu bestehen: die so genannte "Affäre Redl". Sein Vorgänger, Oberst Alfred Redl, wird als Spion gegen die k.und k.-Armee entlarvt. Ronge gehörte zu jenen Männern, die Redl die Nachricht ob dessen Verrat überbrachten. Er blieb auch allein in Redls Hotelzimmer in der Wiener Herrengasse. Nach dem Gespräch verlangte der Oberst von ihm einen Revolver, den ihm Ronge auch mit einem zusätzlichen Päckchen Gift brachte. Redl erschoss sich zwar nicht, wurde aber am nächsten Morgen tot aufgefunden.

Heute wird über Oberst Redl spekuliert, dass sein Verrat entscheidend zu den Niederlagen Österreich-Ungarns in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs an der Ostfront beigetragen hat, gilt es doch als durchaus wahrscheinlich, dass er den Russen die geheimen Aufmarschpläne der k. u. k.-Armee auf dem silbernen Tablett serviert hat.

Vom Geheimdienstchef zum Austrofaschisten

Die Affäre Redl dürfte für Max Ronge durchaus peinlich gewesen sein, da er als Kundschaftschef in Oberst Redl keinen Verräter gesehen hat. Er habe daraufhin seine ganze Energie darauf verwendet, die Schande, die da kommen wird, von der Armee fern zu halten; der Skandal musste vertuscht werden, sagt Verena Moritz. Was freilich nicht gelang. Dennoch avancierte Ronge 1917 zum obersten Geheimdienstchef der k. u. k.-Armee. Die Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg konnte aber auch er nicht verhindern.

Nach dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie wurden die Offiziere öffentlich beschimpft: "Für Ronge unerträglich, er löst sich aus dem Staat", erzählt Hannes Leidinger. Ronges neues Ziel: die Restauration der angeblich so guten alten Zeit und die Bekämpfung, letztlich die Zerschlagung und Vernichtung der Sozialdemokratie. Unterstützt wird er dabei vom zweifachen bürgerlich-konservativen Bundeskanzler Johann Schober, der ihn als Koordinator einsetzte: Ronge koordinierte Gendarmerie, Polizei und das Bundesheer mit den Heimwehren", so Leidinger. Ronge wurde zum typischen Repräsentanten der katholisch-autoritären Rechten: "Er war das Biotop des bürgerlich-katholischen Antisemitismus", sagt Gerhard Jagschitz.

Nazigegner und Antimarxist

Im austrofaschistischen System wurde Max Ronge einer der wichtigsten Funktionäre der Staatspolizei, eine Art Ständestaat-Mielke, Vordenker und Vorarbeiter eines früh-orwellesken Systems. Dennoch oder gerade deshalb: Die Feindschaft der Nazis war ihm sicher. Nach dem Einmarsch Hitlers in Wien wurde er am 13. März 1938 verhaftet und nach Dachau gebracht; aber nicht lange, Admiral Canaris, Chef der "Abwehr" in Berlin, der ihn von früher kannte, setzte sich für ihn ein, und Ronge konnte nach Wien zurückkehren. Bis nach Kriegsende verhielt er sich dann unauffällig.

Hannes Leidinger meint, Ronge sei ein fanatischer Nazigegner gewesen, obwohl es inhaltlich durchaus Berühungspunkte mit den Nazis gegeben habe: "Er baute ein antimarxistisches Netzwerk auf, wo sich bürgerliche, aber auch rechtsvölkische Kräfte, auch Nationalsozialisten einfanden, um gegen die Sozialdemokratie loszuschlagen." Die Befreiung Österreichs durch die Allierten erlebte Ronge als Mann von 71 Jahren; mit dem Agentenwesen schloss der Spionage-Veteran allerdings keineswegs ab.

Spionagemann bis in den Tod

Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Ronge den österreichischen Militärgeheimdienst auf: Bundesheer und B-Gendarmerie. Sein Enkel Gerhard Jagschitz meint, dass ihm dabei der fast manische Antimarxismus bis zu seinem Tod geblieben sei: "Ich erinnere mich noch an eine Szene aus dem Jahr 1953: Der alte Mann ist völlig aus dem Häusel, weil es Wahlen gibt und eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Sozialistische Partei die Mehrheit erreicht. Da hat der alte Mann mit 80 gesagt: Dann ist alles aus!"

War es aber nicht. Adolf Schärfs Sozialisten erreichten 1953 zwar die Stimmen, aber nicht die Mandatsmehrheit. Und als die SPÖ unter Bruno Kreisky 17, 18 Jahre die Alleinregierung stellte, brachte das auch nicht den Untergang des Abendlands. Max Ronge starb 1953, fast bis zum letzten Tage recherchierend, archivierend, spionierend.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 15. März 2007, 18:25 Uhr

Buch-Tipp
Hannes Leidinger und Verena Moritz, "Im Zentrum der Macht - Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge", Residenz Verlag, ISBN 3701730385

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